Wenn der Wille stark genug ist, dann kann man so gut wie alles erreichen. Dies zeigt mir immer wieder unsere Kundin Frau L. Aufgrund von Sauerstoffmangel während der Geburt ist Frau L. schon ihr ganzes Leben körperlich stark beeinträchtigt. Dieser Sauerstoffmangel führte zu einer Zerebralparese. Betroffene sind motorisch stark eingeschränkt, es können aber auch noch weitere Hirnareale geschädigt sein. Sie war mehrheitlich auf Krücken angewiesen und heute ist sie nur noch mit ihrem Rollstuhl mobil.
Trotz der körperlichen Einschränkung und den psychischen Faktoren lässt sie ihren Kopf nicht hängen. Nach ihrem Abschluss an der Handelsschule begann sie als Sekretärin zu arbeiten. Sie lebt allein in einer 1,5-Zimmerwohnung und meistert ihren Alltag mit der Hilfe der Spitex. Die Spitex hilft Frau L. bei der Mobilisation vom Rollstuhl ins Bett und zurück, sowie auch beim Duschen und beim Mahlzeiten vorbereiten und bei einigen anderen Alltagssituationen.
Als ich noch in meiner Ausbildung war, hatte ich immer ein bisschen Angst vor der Mobilisation. Diese Angst ist heute aber komplett beseitigt. Ich bin nun viel routinierter und abgesehen von der Routine spielen auch die Anpassungen bei Frau L. eine grosse Rolle. Sie hat beispielsweise nun ein Pflegebett, welches in der Höhe verstellbar ist und dies macht einiges einfacher. So können wir rückenschonender arbeiten und vor allem auch ihr mehr Sicherheit geben.
Frau L. absolviert momentan ein Fernstudium, um an ihrem Schreibstil zu arbeiten. Sie hat bereits in der Vergangenheit viele interessante Texte verfasst und ist immer daran, sich weiterzuentwickeln. Im Schreiben findet sie ihren Mut und ihren Spass. Sie sagt mir immer, dass sie sehr langsam schreibe und sehr viel Zeit benötige, da dies körperlich bei ihr anders nicht ginge und trotz dessen hört sie nicht mit dem Schreiben auf. Ihr Wille ist sehr stark und das fasziniert mich enorm.
Neben den körperlichen Einschränkungen leidet Frau L. unter anderem auch an paranoider Schizophrenie und an Angstsymptomatik. Sie hat zuletzt einen spannenden Artikel über Todesangst verfasst. Wer den Text liest, erfährt wie sich die Todesangst für die Betroffenen ungefähr anfühlt. Psychische Erkrankungen werden heutzutage immer mehr thematisiert, aber meiner Meinung nach immer noch nicht genug offen. Frau L. hat dies mit ihrem Text gewagt und uns einen Einblick ermöglicht. Dies finde ich äusserst mutig.
Nebst dem Schreiben besucht sie auch gerne kulturelle Anlässe oder geht ins Kino. Sie pflegt den Kontakt zu ihren Freunden, schenkt ihnen Wertschätzung und bekommt diese entsprechend auch von ihnen. Kurz gesagt: Frau L. geniesst ihr Leben. Ich würde sogar sagen, dass sie ihr Leben mehr geniesst als mancher gesunde Mensch.
Frau L. ist mir ein Vorbild. Oft denke ich nach einem Einsatz bei ihr: Wenn ich etwas wirklich will, kann ich es auch. Seid euch bewusst was für ein grosses Geschenk die Gesundheit und das Leben ist und nutzt jede Sekunde eures Lebens.
Bemerkungen