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Wenn die Zwerchfellhernie dem Neugeborenen den Atem raubt

  • Katharina Rüdisüli

Sprichst du im Intensivpflegealltag die drei Buchstaben CDH, auf Englisch „congenital diaphragmatic hernia“, laut aus, blickst du oft in angespannte, erschöpfte Gesichter. Du hörst, wie das Gesundheitsfachpersonal tief Luft holt und manchmal resigniert langsam wieder ausatmet. „Been there, done that“ würden Insider dazu sagen. Gesehen, mitgelitten und nicht aufgegeben.

Jedes Jahr kommen weltweit pro 10 000 Geburten bis zu 5 Kinder mit einer Zwerchfellhernie zur Welt. Bei rund 80 000 Geburten dürften dies in der Schweiz 10 - 40 Kinder sein. Noch im Bauch der Mamma kann dieser Defekt beim Kind mit einem Ultraschall erkannt werden. Eine Hernie ist ein Bruch im Zwerchfell. Dies hat während der fortschreitenden Schwangerschaft für das Baby zur Folge, dass der Darm sich vom unteren Bauch bis in die Lungenregion ausbreitet und der Lunge und den Blutgefässen, die da wachsen sollten, den Platz wegnimmt, respektive sie verdrängen. Es gibt unterschiedliche Schweregrade und die Kinder müssen nicht, können aber unbehandelt daran sterben. 

Genau für diese Kinder ist die Intensivstation der Ort, an dem sie sein müssen. Babys mit dieser Diagnose brauchen unverzüglich nach der Geburt medizinische Betreuung und eine Atemunterstützung. Am besten noch vor dem ersten Schrei. In seltenen Fällen kommt eines von ihnen sogar bei uns im Kinderspital zur Welt. Weil es dann gerade schon da ist, wo es sein soll, und die nötige Grundversorgung sofort bekommen kann. Dann kommt ein Team vom Universitätsspital, das sich um die Mamma kümmert, und wir sind ready für das Kleine. Eine echt coole und sinnvolle Zusammenarbeit – ich bin jeweils fasziniert.

Haben sich die Kinder vom Stress der Geburt erholt, und die Atemsituation sich stabilisiert – was jetzt einfach tönt, aber ganz schön viel Arbeit ist und Tage dauern kann – freuen wir uns. Dann ist das chirurgische Team an der Reihe und das Baby hat seine erste wichtige Operation. Der Darm wird dort platziert, wo er hingehört, und das Zwerchfell „zugenäht“. Dann gilt es abzuwarten und sich in Geduld zu üben. Die Lunge darf sich nun so ausbreiten und wachsen, wie sie mag. Der Darm muss sich vom Schock erholen, versetzt worden zu sein und jetzt arbeiten zu müssen, und dann ist noch all das überschüssige Wasser, dass sich von der Operation überall im Körper angesammelt hat. Das muss der Körper loswerden, und auch das Herz und die Blutgefässe müssen sich an die neue Situation gewöhnen.

Echt viel zu tun für ein Baby, das gerade noch friedlich im Bauch der Mamma geschlummert hat.

Oft machen wir zwei Schritte nach vorn und dann wieder einen zurück. Jedes Neugeborene muss erst mal lernen regelmässig zu atmen, zu trinken und die Muttermilch zu verdauen. Dass diese Aufgabe nicht einfacher ist mit teilweise zu klein geratenen Lungenflügeln und einem Darm, der plötzlich viel weniger Raum zur Verfügung hat, ist irgendwie selbstverständlich.

Es ist die Zeit, in der wir der Familie jeden Tag gut zu sprechen und ihnen immer wieder versichern, dass kleine Fortschritte normal sind. Dass es eine riesige Portion Geduld braucht, bis das Baby sich an sein Lungenvolumen gewöhnt hat. Viele brauchen jahrelang ein Gerät für die Atemunterstützung und nehmen dies auch mit nach Hause.

Das medizinische Grundproblem mit dem Zwerchfelldefekt ist immer das Gleiche. Einige Kinder bleiben wenige Wochen bei uns, andere Monate. Die einen werden jeden Tag kräftiger, die anderen müssen auch noch Komplikationen wie eine Infektion oder eine Entzündung von Darmabschnitten überstehen.

Gerade war es wieder soweit. Nach Wochen mit vielen Aufs und Abs konnte dem kleinen Jungen der Beatmungsschlauch gezogen werden. Endlich konnten wir seine Stimme hören. Lautstark und noch etwas heiser verkündete er, dass er sich freut, am Leben zu sein. Und dass er jetzt ganz viel gekuschelt werden möchte. Schön, konnte ihn die Intensivmedizin retten. 

Viele verschiedene interprofessionelle Dienste werden die nächsten Wochen mithelfen, dass er lernt selber zu trinken, zu verdauen, auf Medikamente zu verzichten und seine Muskeln zu trainieren. Hoffentlich kann er schon bald nach Hause und einen normalen Alltag mit seinen Geschwistern und Eltern erleben. Und wir atmen auf, tanken Energie und bereiten uns vor auf die nächste angeborene Zwerchfellhernie, die den Beginn ihrer Lebensgeschichte mit uns schreiben wird.

Bemerkungen

Katharina Rüdisüli

Als Dipl. Expertin für Intensivpflege arbeitet Katharina Rüdisüli im Universitäts-Kinderspital Zürich. Von ihrem abwechslungsreichen Arbeitsalltag, ihren emotionalen Begegnungen und abenteuerlichen Herausforderungen erzählt sie hier im PulsBlog. 

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