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Vom Sprechen mit Sterbenden

  • Katharina Rüdisüli
Copyright: Kinderspital Zürich / Barbora Prekopova

Sie war schon fast zur Türe raus, als sich die Studierende umdrehte, auf mich zukam und doch noch etwas fragen wollte. Mit ratsuchendem Blick wendete sie sich an mich und fragte, wie ich denn mit sterbenden Menschen kommunizieren würde?

Kurz war ich überrascht, verstand sie aber in ihrem Anliegen sehr gut. Ihre Mimik verriet, dass sie gerade kürzlich das erste Mal in solch einer Situation war und dessen Zauber noch nachhallte. Ich denke, es ist eine Ehre, sterbende Menschen begleiten zu dürfen. Es macht einen demütig und richtet den Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben wie Dankbarkeit und Freundschaft.

Katharina round
«Ich denke, es ist eine Ehre, sterbende Menschen begleiten zu dürfen» 

Doch wie geht das denn nun? Das Sprechen zu Sterbenden? Es gäbe viel Literatur zu diesem Thema. Folgendes weiss ich aus der Praxis. Jeder Mensch ist individuell und sollte seine Bedürfnisse artikulieren dürfen. Und wenn die Patient:innen uns dies nicht oder nicht mehr sagen können, dann beobachten wir sie und versuchen die nonverbalen Zeichen zu lesen.

Es fasziniert mich, dass ich ein Zimmer betreten kann und sofort merke, dass hier ein Mensch bereit ist, seine letzte Reise anzutreten. Dabei fühlt es sich an, als wäre der Raum bis oben hin gefüllt mit all den vielen gewichtigen Erfahrungen, die dieser Mensch während seines Lebens gesammelt hat. Und alle sind sie wichtig und brauchen Raum und sollen wahrgenommen werden. So verwundert es mich auch nicht, dass sich dies bei den Kindern eher wie viele umherfliegende Schmetterlinge anfühlt. Keine Geschichte weniger wert, aber halt weniger Erinnerungen an der Zahl.

«Es fasziniert mich, dass ich ein Zimmer betreten kann und sofort merke, dass hier ein Mensch bereit ist, seine letzte Reise anzutreten.»

Als Pflegefachfrau möchte ich in diesen Stunden besonders das Wohlbefinden der Patient:innen erhalten, fördern und die Angehörigen im Begleit- und Abschiedsprozess unterstützen.

Das heisst bezüglich Kommunikation ganz pragmatisch: wenn ich den Raum betrete, lasse ich die Patient:innen wissen, dass ich da bin und was ich vor habe. Dies, weil viele Menschen in der finalen Phase die Augen geschlossen haben und nicht mehr sprechen. Ich kündige an, was für ein Wochentag ist, welche Uhrzeit wir haben und ob es draussen schneit oder die Sonne scheint, wenn ich denke, diese Informationen bieten den Menschen Orientierung. Ich lasse Sie durch meine Augen blicken und zeichne Ihnen das Bild, das sie aktuell nicht sehen können. Ich erkläre Schritt für Schritt, was ich tue, damit sich die Patient:innen darauf einstellen können. Zum Beispiel, dass ich ihnen das Gesicht waschen oder ihre Position verändern werde.

«Das heisst bezüglich Kommunikation ganz pragmatisch: wenn ich den Raum betrete, lass ich die Patient:innen wissen, dass ich da bin und was ich vor habe. Dies, weil viele Menschen in der finalen Phase die Augen geschlossen haben und nicht mehr sprechen.» 
Katharina round

Wenn ich die Menschen länger begleitet habe und wir Erlebnisse ausgetauscht haben, dann erzähle ich auch mal, wie eine Geschichte weiter ging oder von gemeinsamen Erfahrungen. Denn dann nehme auch ich Abschied. Ich spreche meine Bewunderung aus für die Kraft, die der Krankheitsverlauf gefordert hat. Oder bedanke mich auch mal dafür, dass ich miterleben durfte. Manchmal hören wir gemeinsam Musik und es muss auch manchmal nichts gesagt werden. Dann sagt der Händedruck alles, was ich fühle.

Dann, wenn die Seelen losgeflogen sind und wir gemeinsam mit dem ärztlichen Team den Tod bestätigt haben, informieren wir mit der gleichen Sorgfalt den Menschen, das Kind, das vor uns liegt, darüber, was nun geschieht und wie ich es zur letzten Ruhe bette.

All dies bespreche ich mit der Studierenden. Der Kreis wird grösser und weitere Pflegefachpersonen hören zu. Wir tauschen unsere Erlebnisse aus. Es braucht Kraft, Menschen im Sterbeprozess zu begleiten. Diese Energie tanken wir vor oder nach einem Dienst bei unseren Familien, in der Natur oder sonst irgendwo auf. Das Regenerieren und Auftanken ist echt wichtig. Es hilft uns auch, das Erlebte miteinander zu teilen.

Diese Begleittage erleben viele von uns nicht täglich. Viele Menschen kommen generell spät oder zu selten in Berührung mit dem Tod. Im Pflegealltag gehört er dazu. Das ist der Lauf des Lebens. Wir begrüssen die Kleinsten auf der Welt und verabschieden jene, die gehen. Wir pflegen auf der ganzen Lebensspanne. Gut, dass wir einander haben und voneinander lernen können, in dem wir darüber sprechen.

 

Bemerkungen

Katharina Rüdisüli

Als Dipl. Expertin für Intensivpflege arbeitet Katharina Rüdisüli im Universitäts-Kinderspital Zürich. Von ihrem abwechslungsreichen Arbeitsalltag, ihren emotionalen Begegnungen und abenteuerlichen Herausforderungen erzählt sie hier im PulsBlog. 

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