Sandra B. arbeitet seit einigen Jahren im Notfall. Ursprünglich hatte sie ein Pensum von 100% und nach der Geburt der Zwillinge vor zwei Jahren hat sie auf 40% reduziert. Sie hatte während der Schwangerschaft alles gut geplant und mit ihrem Arbeitgeber abgesprochen. Doch nach und nach merkt sie, dass die gewählte Lösung nicht zum erwünschten Ergebnis führt: Sie fühlt sich weder ganz dem Team zugehörig noch ganz als Mutter. Sie findet, dass sie weder ihren Ansprüchen zu Hause noch ihren Ansprüchen bei der Arbeit genügt. Was nun? Ganz auf die Rolle als Berufsfrau verzichten kann und will sie nicht.
Theresa K. hat nach der Geburt ihrer Tochter vor fünf Jahren intern in die Tagesklinik gewechselt. Regelmässig und hochprozentig arbeiten ist für sie wichtig, da sie Hauptverdienerin ist. Ihr Mann baut gerade seine berufliche Selbständigkeit auf. Sie kann mit den geregelten Arbeitszeiten gut Familie und Arbeit unter einen Hut bringen. Nur belastet sie mehr und mehr, dass sie die tägliche Routine unverhältnismässig ermüdet. In der knappen Freizeit kann sie sich kaum aufraffen, etwas zu tun, was ihr Freude bereitet, wie zum Beispiel Sport zu treiben oder mit Freundinnen ins Kino zu gehen. Was soll sie tun? Alle Tätigkeiten, die sie mehr herausfordern würden, scheinen unvereinbar mit ihren Familienaufgaben zu sein.
Was hat Priorität?
Bei einer ersten Auslegeordnung kommt zur Sprache, welches die angenehmen, attraktiven Faktoren und welches die schwierigen, belastenden Aspekte der aktuellen beruflichen Situation ausmachen. Daraufhin schlage ich vor, den Aufmerksamkeitsradius zu erweitern auf die gesamte Lebenssituation, wozu auch die Familie und Freizeit gehört. Schliesslich ist die berufliche Situation nur ein Teil der Lebenswirklichkeit. Es ist nicht unwesentlich, ob die Rolle als Berufsfrau klare Priorität besitzt oder andere Rollen, wie z.B. Mutter, Ernährerin vorrangig sind. Die Klärung dieser Gewichtung kann schon einiges bewirken im Hinblick auf Erwartungen an sich selber und an andere. Sowohl Sandra B. wie Theresa K. sind interessiert, für die Klärung ihrer beruflichen Perspektiven zuerst einmal in eine Auseinandersetzung mit sich einzusteigen. Das heisst, in einem ersten Schritt genauer zu verorten, wo denn der Ursprung ihrer Unzufriedenheit respektive der Ansatzpunkt für eine attraktive Veränderung liegt. Sie nehmen Aufgaben und Fragen mit nach Hause, welche diesen Prozess voranbringen sollen.
Ein höheres Pensum
Sandra B. kommt mit strahlenden Augen in die zweite Sitzung. Für sie hat sich in der Zwischenzeit die Situation geklärt. Sie habe sich eingestehen können, dass ihre Planung zwar wohl durchdacht gewesen sei, aber nicht funktioniert. In der Folge habe sie erkannt, was sie braucht – ein höheres Pensum, um besser ins Team integriert zu sein und darüber hinaus regelmässigere Arbeitszeiten für die «Familientauglichkeit» zu haben. Sie ist gleich aktiv geworden, hat mit der Personalverantwortlichen gesprochen und einen entsprechenden – vorerst befristeten Vertrag – aushandeln können.
Neue Berufsperspektiven
Anders bei Theresa K. Sie hat mit den Hausaufgaben realisiert, dass sie eine grundsätzliche berufliche Veränderung anstreben möchte – die Ausbildung zur Hebamme. Doch vorerst sieht sie diesbezüglich nur Hindernisse. Es sei unmöglich, auf ihr Einkommen zu verzichten und auch sonst fehle ihr der Mut für einen solch grossen Schritt. Wieder nimmt Theresa K. Aufgaben nach Hause: Welches könnten kleinere Schritte in die richtige Richtung sein, die sie nicht blockieren? Im dritten und letzten Gespräch erarbeiten wir den nächsten Schritt – im Wissen, dass weitere später folgen werden. Der nächste ist machbar: ein Stellenwechsel in Richtung Wochenbett. So kann Theresa K. gründlich prüfen, ob Hebamme in etwa zwei Jahren – wenn sich die Situation ihres Mannes stabilisiert hat – ihr Ziel sein wird, das sie anpackt.
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