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Das Organgeschenk: mein emotionaler Nachtdienst

  • Katharina Rüdisüli
Copyright: Kinderspital Zürich / Barbora Prekopova

Heute wird sich sein Leben verändern: Das Kind wird eine neue Niere erhalten. Es gibt eine Spender:in. Jemand der sich von unserer Welt verabschiedet und beschloss, zu dieser einen grossen Sache ja zu sagen. Ja zur Organspende.

Das lange Warten
Manchmal warten wir mit den Kindern und Familien sehnsüchtig auf das neue Organ. Täglich können wir dann sehen, wie das Leben des Kindes an dem berüchtigten seidenen Faden hängt. Nur mit vielen Medikamenten, Spitalpflege oder Überbrückungsangeboten wie einem Berlin-Heart (künstliches Herz) oder regelmässiger Dialyse (Blutwäsche) kann das Kind überleben. Wir hoffen dann, dass eine Spender:in gefunden wird, bevor mögliche Komplikationen auftreten.

Katharina round
«Nur mit vielen Medikamenten, Spitalpflege oder Überbrückungsangeboten wie einem Berlin-Heart (künstliches Herz) oder regelmässiger Dialyse (Blutwäsche) kann das Kind überleben. » 

Bei der Niere ist das so eine Sache. Funktionieren die Nieren in einem Körper nicht oder nicht mehr genug, dann können wir aushelfen. Mittels Dialyseverfahren, zum Beispiel im Bauchraum, können Schadstoffe trotzdem ausgewaschen werden. Du kannst so überleben, bist aber u.U. an strikte Diäten, diverse Medikamente und viele Spitalbesuche gebunden. Und irgendwann hilft auch das nicht mehr genug.

Nicht jedes x-beliebige Organ passt in eure Körper. Da laufen sehr viele Vorabklärungen, so dass der Körper das neue Organ akzeptieren und nicht abstossen würde. Manchmal haben die Kinder Glück und jemand aus der Familie kann und möchte eine Niere spenden. Manchmal wird ein Kind gelistet und wartet mit allen anderen Menschen aus der Schweiz und Europa auf eine Spender:in. Das Warten kann ganz schön dauern.

«Manchmal wird ein Kind gelistet und wartet mit allen anderen Menschen aus der Schweiz und Europa auf eine Spender:in.»

Jetzt geht's Los
Und dann aus dem Nichts. Heute. Jetzt. Sofort. Vielleicht warst du gerade auf dem Spielplatz oder im Kino. Vielleicht regnet es. Aber jetzt möchte jemand spenden, der zu dir passt. Ab ins Spital.

Es geht Stunden, bis ein Organ einem Menschen achtsam entnommen und dem Empfänger eingesetzt werden konnte. Wir warteten bis in die frühen Morgenstunden.

Dann war das Kind da und es war meine Aufgabe, zusammen mit dem ärztlichen Dienst, dafür zu sorgen, dass der Blutdruck so hoch ist und so viel Flüssigkeit durch die Blutgefässe rinnt, dass die neue Niere arbeiten kann. Dass das Kind keine Schmerzen hat. Dass es alle Medikamente bekommt, die es braucht, so dass der Körper die neue Niere akzeptieren kann. Es ist zwingend nötig, dafür die Reaktion des Immunsystems zu unterdrücken und den Körper vor Infektionen zu schützen.

Mitternachtsdebatten
Ich arbeite wieder im Nachtdienst und lasse mich updaten, was tagsüber lief. Wie es dem Kind geht, welche Massnahmen zur Schmerzlinderung unternommen wurden, wie die aktuellen Laborwerte aussehen, und dass die Mama über Nacht am Bett bleiben wird. Anschliessend verschaffe ich mir selbst einen Eindruck von der Situation und sorge dafür, dass sowohl das Kind als auch die Mutter zur Ruhe kommen und sich erholen können.

Und dann sollte ich dem Kind mitten in der Nacht das Medikament zur Prävention von Pilzinfektionen verabreichen. Das heisst nur einen Milliliter Suspension, aber am wirkungsvollsten, wenn dieser selbständig von der Patient:in über den Mund eingenommen wird. 

Toll, das Kind schläft. Extra dafür aufwecken, scheint mir ungerecht. Doch ich möchte das Kind auch schützen, denn im Moment ist sein Immunsystem fragile. So warte ich auf den Moment, wo es aufwacht und etwas Wasser trinken möchte. Ich hechte ans Bett und versuche das schlaftrunkene Kind zu motivieren, diesen einen Milliliter zu schlucken.

Wären Kinder kleine Erwachsene, hätte ich kurz erklärt, warum das Medikament jetzt so wichtig ist, es hätte verstanden, geschluckt und die Sache wäre in weniger als 10 Sekunden erledigt gewesen. Nun sind wir aber im Kinderspital. Mit Argumentation komme ich je nach Entwicklungsstand nicht weit und das Kind war durch seine bestehende Nierenerkrankung durchaus spitalerfahren.

Chronisch kranke Kinder sind erfahren
Unterbewusst war mir klar, was es heisst, unzählige Stunden seines Lebens im Spital zu verbringen. Ich erkannte aber gerade in diesem Moment die ganze Tragweite davon und war sehr berührt und ergriffen. Das Kind wusste, was es heisst, Schmerzen und Übelkeit zu haben. Neue Verbände an seinem Körper zu finden, Blutentnahmen über sich ergehen lassen zu müssen und seine Vitalzeichen ständig geprüft zu bekommen.

«Ich erkannte aber gerade in diesem Moment die ganze Tragweite davon und war sehr berührt und ergriffen. Das Kind wusste, was es heisst, Schmerzen und Übelkeit zu haben.» 
Katharina round

Es war müde, hatte eine riesige Operation hinter sich, war nicht in seinem Bett zu Hause und wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Es hielt sich demonstrativ mit der Hand den Mund zu. Das fand ich dann wieder wahnsinnig geschickt und musste trotzdem schmunzeln. Oh ich hatte SO ein schlechtes Gewissen. Gutes Tun hat manchmal echt viele Facetten. Glücklicherweise war die Mamma mit da. Sie konnte die Überzeugungsarbeit leisten, die mir verwehrt blieb. Das Kind nahm die Hand vom Mund, tobte kurz und weg war das Medikament. Ganz bestimmt würde ich dem Tagdienst eine Notiz hinterlassen. Es liegt nicht an mir, die Medikation zu bestimmen. Aber wir können gemeinsam dafür schauen, dass die Zeitintervalle für ein Kind mit grossem Schlaf- und Erholungsbedürfnis machbar sind.

Warum erzähle ich euch das? Weil es mir echt wichtig ist. Die Krankheitsreise des Kindes ist noch lange. Es wird auch in Zukunft täglich wichtige Medikamente zu sich nehmen müssen. Es wird älter werden – und mit der Zeit besser verstehen, was das alles bedeutet. Es wird noch öfter bei uns im Spital ein- und ausgehen. Ich wünsche mir, dass es, dort wo seine Krankheit es zulässt, mitbestimmen kann. Dass es aus eigenem Willen auch mitten in der Nacht einen Milliliter Suspension einnimmt. Und dass es eines Tages zurückblicken und den Start in den Lebensabschnitt mit geschenkter Niere als gelungen und wertvoll bezeichnen kann.

 

TIPPS

  • Sprich mit deinen Liebsten regelmässig über deine eigenen Organspende-Absichten.
  • Chronisch kranke Kinder müssen oft schon seit Langem Medikamente einnehmen. Sie und ihre Familie wissen, wie es ihnen am besten gelingt. Frag sie.
  • Natürlich hilft es, wenn die Kinder richtig wach sind. Versuche zu vermeiden, dass Medikamente nachts eingenommen werden müssen.
Bild – Copyright: Kinderspital Zürich / Barbora Prekopova

Bemerkungen

Katharina Rüdisüli

Als Dipl. Expertin für Intensivpflege arbeitet Katharina Rüdisüli im Universitäts-Kinderspital Zürich. Von ihrem abwechslungsreichen Arbeitsalltag, ihren emotionalen Begegnungen und abenteuerlichen Herausforderungen erzählt sie hier im PulsBlog. 

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