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Aufgeben, um weiterzukommen

  • Michaela Maureen Königshausen

Meine Wunschvorstellung ist, dass Behandlungen so verlaufen, dass Patienten und Patientinnen aus der Psychiatrie austreten, mit dem Gefühl profitiert zu haben, sich gestärkt zu fühlen und zu wissen, wie sie weiter vorankommen. In der Realität werden jedoch auch stationäre Aufenthalte beendet, noch bevor der/die Patient:in und/oder das Behandlungsteam glauben, dass die Ziele erreicht wurden.

Die meisten Patienten und Patientinnen unserer Psychotherapiestation sind zwischen zwei bis maximal zehn Wochen stationär. Nur selten bleiben sie länger. Es gibt Situationen, in denen einzelne Personen länger bleiben müssen, als ihnen lieb ist. Dies liegt häufig daran, dass gewisse Bedingungen, wie ein sicherer Wohnort, noch nicht geklärt sind.

Doch werden genauso gelegentlich Therapieaufenthalte ab- oder unterbrochen. Teilweise bis hin zur Sperrung auf der Station über einige Monate. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einer ist beispielsweise das Brechen des Behandlungsvertrags. Einige unserer Patienten und Patientinnen, vor allem diejenigen in der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT), unterzeichnen gemeinsam mit dem Kernteam (pflegerische Bezugsperson und Ärztin oder Psychologin) eine Therapievereinbarung. Darin werden die Ziele, welche der/die Patient:in erreichen möchte, sowie einige «Spielregeln» festgehalten. Dazu gehört zum Beispiel, dass während des Klinikaufenthalts keine Drogen und Alkohol konsumiert werden dürfen oder, dass man pünktlich zu den Therapien erscheinen muss. Das mag logisch klingen, doch sind gerade die genannten zwei Punkte für junge psychisch belastete Menschen schwer einzuhalten. Wenn dann ohnehin noch eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung oder zusätzlich eine Suchterkrankung vorliegt, werden sie zur deutlich grossen Herausforderung. Trotzdem bestehen wir auf diese Regeln, da sie die Grundpfeiler für eine erfolgreiche Therapie sind. Die Patienten und Patientinnen entscheiden selbst mit, wie eine Konsequenz bei einem Regelverstoss aussehen soll. Dies kann die Motivation stark steigern, an den selbst gesetzten Zielen dranzubleiben.

Solche Konsequenzen mit aller Härte durchzuziehen, fühlt sich nie gut an, aber richtig. Wir als erfahrenes und spezialisiertes Team versuchen immer, eine Lösung zu finden, welche der Patientin/dem Patienten langfristig hilft. So war ich auch bereits einige Male gefordert, die «schlechte» Nachricht einer Konsequenz zu überbringen.

Einer der unangenehmsten und gleichzeitig erfolgreichsten Therapieabbrüche erlebte ich vor ca. drei Jahren, als ich gemeinsam mit der Psychologin und dem damaligen Oberarzt einer Patientin sagen musste, dass die DBT per sofort abgebrochen wird. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie mehrfach sogenanntes «Therapie störendes Verhalten» gezeigt und das «Fass» war an dem genannten Tag einfach überlaufen. Wir wollten der Patientin erklären, wie es zum Entscheid kam, doch sie stürmte aus dem Besprechungszimmer und war verständlicherweise wutentbrannt. Sie wollte nicht mehr mit mir reden und wollte genauso wenig versprechen, dass sie für ihre eigene Sicherheit sorgen könne. Wir verlegten sie also auf eine Akutstation, wo die Türen geschlossen waren. Nicht mal mehr ein «Tschüss» bekam ich von ihr.

Ich war entrüstet, traurig und hatte Zweifel, dass wir richtig gehandelt hatten.

Zwei Jahre vergingen, als an einem Abend die Triage auf der Station anrief und genau diese Patientin bei uns anmeldete. Ich war verwirrt und unsicher, ob dies nicht negative Konsequenzen mit sich bringen würde. Die Patientin war am Eintrittstermin ebenso irritiert, wieder bei uns zu sein. Sie entschuldigte sich und erzählte, wie sie sich später noch Gedanken darüber gemacht habe, sie bemerkt habe, dass sie sich tatsächlich falsch verhalten habe und sie unseren Entscheid von damals gut verstehen könne. Das ganze Team gab ihr von Anfang an wieder eine Chance, die Zusammenarbeit gelang und der Aufenthalt war ein Erfolg.

So war diese Behandlung für mich eine der beispielhaftesten, dass man manchmal, wenn es nicht mehr weitergeht, auch mal eine Pause einlegen muss, um weiterzukommen.

Bemerkungen

Michaela Maureen Königshausen

Im Frühjahr 2019 schloss Michaela Maureen Königshausen ihr Studium zur diplomierten Pflegefachfrau HF ab. Ihre Praktika absolvierte sie alle in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, wo sie anschliessend ihren Platz auf einer Therapiestation für junge Frauen gefunden hat. Mittlerweile ist sie als Berufsbilder*in tätig und seit Herbst 2022 Fachexpertin. Die Station hat sich auf die Dialektisch-Behaviorale-Therapie, sowie Traumatherapie spezialisiert.

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