Vielleicht macht es den Anschein, dass wir in der Psychiatrie einfach gut zuhören und reden können. Doch wir begleiten teilweise Menschen bereits in ihrer Kindheit und bis ins hohe Alter mit verschiedensten Vorgeschichten. Ganz klar also, dass in der Klinik ebenso ein grosses Spektrum an somatischen Krankheitsbildern und -beschwerden zu beobachten sind. Ich als Pflegefachfrau muss immer damit rechnen, dass ich einen venösen Zugang legen muss, dass meine neue Bezugspatientin eine Stoffwechsel-Erkrankung mitbringen könnte, dass ich mich unter Umständen auf den neusten Stand bringen muss bei einem seltenen Syndrom. Das bedeutet, dass ich mich immer wieder mit den Abläufen von medizinaltechnischen Interventionen befassen muss. So ergreife ich wann immer möglich die Chance, beim Nähen einer Wunde zu assistieren oder mich in die Forschungen einzulesen, um mein Wissen aufzufrischen und neues zu lernen. Zum einen ist es die Erwartung, die die Klinik an uns stellt, es ist aber genauso mein eigener Ehrgeiz und der Wunsch vom interdisziplinären Team, dass wir unser Wissen und Können ausbauen und abrufen. Wir sind die, die im „Vier-Augen-Prinzip“ die Ärztinnen und Ärzte kontrollieren, wenn sie etwas verordnen, wir sind die, die Übersicht haben bei einem Fall und um Rückmeldung gebeten werden von Spezialtherapeutinnen.
Auch in der Psychiatrie pflegen wir den Körper unserer Patientinnen. Beginnend bei kleinen Schnittverletzungen, welche beim Basteln zugezogen wurden, über absichtlich zugeführte Brandblasen oder auch ein Muskelkater nach einer intensiven Sporttherapiestunde, sowie diverse chronische Erkrankungen und akute Erkältungen.
Ich begleite meine Bezugspatientinnen ganzheitlich; ich unterstütze sie dabei, eine Wohnung oder einen Job zu suchen, sich auf Prüfungen vorzubereiten, Konflikte mit den Eltern zu lösen, Beziehungsprobleme zu beleuchten. Ich rede mit ihnen über „Gott und die Welt“, begeistere mein Gegenüber für neue Hobbys, weise die Patientinnen ambulant weiter, benenne Anlaufstellen, kläre über die Diagnose auf. Oder ich bin da, um mir Fotos von Haustieren anzusehen, im größten Regen raus zu gehen und im Wald zu schreien, eine Aroma-Mischung gegen Schmerzen zuzubereiten, Panikattacken abzuschwächen…
Wir, von der Spezialstation für Frauen, haben schon häufig gehört, dass die Patientinnen bei uns zum ersten Mal erfahren durften, was es bedeutet an einem sicheren Ort zu sein, zum ersten Mal gelernt zu haben, richtig zu vertrauen, Hoffnung zu finden, so sein zu dürfen wie man ist und auch so gesehen und zu gehört werden. Nebst Frauen, denen bei Geburt das weibliche Geschlecht zurecht zugewiesen wurden, begleiten wir genauso Transfrauen und nicht-binäre Personen und treten diesen als Team mit dem verdienten Respekt entgegen, wie es jedem Menschen zusteht. - Weshalb ich gerade dieses Thema erwähne? Weil es mir ein Anliegen ist, diese sensiblen und immer noch tabuisierten Menschen sichtbar zu machen.
Um wieder zu der „Alleskönnerin“ zurück zu kommen: Wir sind nicht nur vielseitige Ansprechpartnerinnen für die Patientinnen und Patienten, sondern auch für Angehörige, andere Fachstellen und für uns selbst. Gerade im Team, in welchem ich arbeite, erfahren meine Kolleginnen, Kollegen und ich große gegenseitige Unterstützung, auch bei schweren Themen. Was ich daran so schätze ist, wie offen und wertfrei wir uns begegnen können und wenn dies einmal nicht gelingt, wir fähig sind zu unseren Fehlern zu stehen, im Team, aber ebenso gegenüber den zu pflegenden Personen.
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