Ich arbeite nun seit etwas mehr als einem Jahr als diplomierte Pflegefachfrau in der Psychiatrie. Ich bin so gesehen immer noch ein Neuling im Beruf. Und dennoch, auch durch meinen früheren Job als Fachfrau Betreuung, sind mir schwierige Gefühle und herausfordernde Situationen bekannt. Natürlich bringe ich ebenso aus meinem privaten Leben Verlusterfahrungen mit.
Eine Patientin zu begleiteten, die mir weinend gegenübersitzt, wenn sie von ihren traumatischen Erlebnissen berichtet, geht einem an die Substanz. Doch das Mitgefühl und die grosse Empathie, die viele im Pflegeberuf mitbringen, erkenne ich als Vorteil in der nahen Zusammenarbeit mit den zu betreuenden Personen. Die Patientinnen äussern oft, wie sehr sie es schätzen, zu erfahren, dass wir Anteil nehmen können, dass wir ihnen echt und spürbar gegenübertreten, uns verwundbar und sensibel zeigen.
Gerade als Bezugsperson einzelner Patientinnen bin ich im Umgang mit Gefühlen auch ein Vorbild. Innerhalb der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) nennen wir das „lernen am Modell“. In dieser Spezialtherapie, die auf meiner Station angeboten wird, werden sowohl in Gruppen- als auch in Einzelgesprächen die belastenden Themen aufgenommen. Unsere Patientinnen, welche meist unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Typ Borderline (BPS) und/oder posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, beobachten genau, wie wir als Pflegende mit einzelnen Situationen umgehen.
Unter den BPS- und PTBS-Betroffenen ist der Leidensdruck bekanntlich äusserst hoch und die Symptomatik hält über Jahre an. Unter den für diese Menschen subjektiv kaum aushaltbaren Gefühlen sind Suizidgedanken, -ideen und -impulse als Ergebnis enorm. Sie wünschen sich Flucht, Erleichterung und Lösung. Die Begleitung solcher Menschen fühlt sich häufig als schmaler Grat zwischen zu wenig und zu viel Hilfe an. Im Gegensatz zur Arbeit mit Menschen in einer depressiven Episode habe ich erfahren, dass der Lebenswille bei BPS- und PTBS-Patientinnen und -Patienten durchaus spürbarer sein kann. Es gilt gerade, diesen Willen zu bestärken und den Weg in eine Besserung zu gehen.
Traurig ist, dass wir nicht immer Kontrolle über Patientinnen und Patienten haben können, gerade beispielsweise auch wenn sie nicht mehr stationär betreut werden. Manchmal haben die Menschen entschieden und sie sehen kein Zurück mehr, manchmal ist der Suizid geplant und häufig handelt es sich leider um eine kurzfristige Handlung im Affekt.
Dann bleiben auch wir zurück, als Pflegende, als wochenlange, teilweise monatelange Begleiterinnen und Begleiter. Bis dahin haben wir alles getan und dann sind auch wir nur Menschen die trauern. Menschen, die in Beziehung standen, die Verlust erleben, die unter Schock stehen, offene Fragen haben, Trauer, Wut und Hoffnungslosigkeit empfinden, nach Schuldigen suchen, sich schuldig fühlen. Auch ich als Dipl. Pflegefachfrau gehe den Weg der Trauer. Ich weiss es zu schätzen, unterstützt zu werden, das Fachwissen zu haben, welche Phasen des Trauerns und des Abschiednehmens nun folgen. Bis dahin lasse ich die Gefühle und Gedanken zu, bin immer noch da, fassbar für die Patientinnen, und werde sicherlich bald annehmen und loslassen können.
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