Eigentlich faszinierte mich die Psychiatriepflege schon von Anfang an. Ich absolvierte sogar mein erstes Schnupperpraktikum in einer Psychiatrie und konnte mir gut vorstellen, dort zu arbeiten.
Trotzdem entschied ich mich bewusst dagegen und begann meinen Weg in der Pflege im Akutspital. Weshalb? Ich hatte die Befürchtung, dass psychisch erkrankte Erwachsene einen sechzehnjährigen Burschen nicht ernst nehmen würden. Ich war selbst kaum volljährig, hätte ihnen aber schon vorgeben müssen, wie man zu leben hat, damit es einem besser geht. Zudem war mir durchaus bewusst, dass in der psychiatrischen Pflege, somatisches Wissen ebenfalls von hoher Wichtigkeit ist, da es in Notfallsituationen Leben retten kann.
Nachdem ich die Ausbildung zum Fachmann Gesundheit EFZ erfolgreich abgeschlossen und ein Jahr Berufserfahrung gesammelt hatte, wagte ich es, mich für eine Stelle in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zu bewerben. Ich konnte überzeugen und erhielt die Chance, auf einer geschlossen geführten Akutstation als Fachmann Gesundheit zu arbeiten. Somit stellte ich mich der Herausforderung mit den Anforderungen eines neuen Fachgebietes - der Pflege rund um die menschliche Psyche.
Fachlicher Austausch mit Mitarbeitenden sowie interne Weiterbildungen erleichterten mir den Einstieg in die psychiatrische Pflege, da sich dieser schwieriger gestaltete, als ich annahm. Nebst den Gesetzesgrundlagen zu "Zwangsmassnahmen" und "Fürsorglicher Unterbringung" musste ich mir neues Wissen bezüglich Rechten und Pflichten der Patienten erarbeiten. Zudem wurde ich mit diversen psychischen Krankheiten konfrontiert, lernte neues rund Themen wie Wirkungen und Nebenwirkungen psychiatrischer Medikamente, Krisenintervention, verbale Deeskalation, Prävention, Gesprächsführung, Recovery und Milieutherapie. Doch da die menschliche Psyche für mich ein unglaublich interessantes Phänomen darstellt, packte mich mein Wissensdurst. Wie kann ich Menschen mit einer psychiatrischen Krankheit begegnen, damit sie Vertrauen schöpfen? Wie kann ich sie unterstützen? Wie gehe ich mit Widerstand um? Worin liegt der Schlüssel einer Deeskalation? Wie begegne ich selbstschädigendem Verhalten? Wie führe ich eine professionelle Beziehung und wahre ein gesundes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz? Wann und wie sollte ich mich abgrenzen? Wie kann ich die Autonomie des Patienten erhalten? Wie führt man ein Gespräch mit unangenehmen Gesprächsthemen? Vermeintlichen Tabu-Themen? Wie wahre ich die Sicherheit des Patienten, meiner Teammitglieder und mir? Ihr könnt mir glauben, wenn ich euch sage, dass die ersten drei Monate wie im Flug vergingen.
Die Auseinandersetzung mit ethischen Konflikten wurde mein Alltag. Ich diskutierte mit Teammitgliedern, Therapeuten, Ärzten. Wir tauschten uns aus, argumentierten für oder gegen bestimmte Massnahmen, besprachen Medikationen und schätzten Fremd- sowie Selbstgefährdung ein. Ich habe dabei nicht nur fachliches Wissen gewonnen, sondern auch viel über mich selbst lernen dürfen. Wo liegen meine Grenzen? Und was passiert, wenn man diese testet oder sogar bewusst überschreitet? Wie gehe ich damit um und wie kann ich mich selbst schützen? Wie verhindere ich Machtmissbrauch?
Aufgrund all der persönlichen Fragen und inneren Kämpfe erhielt das Vertrauen zu Teammitgliedern einen völlig neuen Stellenwert. Man unterstützt und schützt sich gegenseitig, muss in Notfallsituationen als Team agieren können und an einem Strick ziehen. Dies kann sich bei der Auseinandersetzung mit ethischen Konflikten teilweise schwierig gestalten.
Nachdem ich eineinhalb Jahre in der Akutpsychiatrie Erfahrungen und neue Eindrücke gesammelt hatte, begann ich Mitte März 2020 die Ausbildung zum Pflegefachmann an der höheren Fachschule. Meine Entscheidung war definitiv gefallen - ich wählte den Schwerpunkt Psychiatrische Pflege.
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