Bewusst hatte ich mich auf der Therapiestation auf die Stelle beworben, vor allem wegen der Arbeit mit Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Nach wie vor faszinieren mich diese Begegnungen, doch längst sind neue Krankheitsbilder hinzugekommen, welche mich zunehmend beschäftigen. Nicht selten haben wir auf der Station Patient:innen, die nicht nur eine BPS haben, sondern zusätzlich weitere Diagnosen. Dabei kommen vor allem ADHS und die kPTBS (komplexe Posttraumatische Belastungsstörung) vor.
Erst war ich wahnsinnig überfordert, besonders, weil ich Angst hatte, ich könnte meinem Gegenüber nicht gerecht werden oder schlimmer noch, einen Fehler begehen. Mein Vorteil war und ist, dass ich gerne Herausforderungen suche und bereit bin, zu lernen. Trotz der Sorge, es nicht gut genug zu machen oder zu wenig kompetent zu sein, durfte ich mittlerweile mehrere komplex traumatisierten Bezugspatient:innen begleiten. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich wäre nie an meine Grenzen gekommen.
Diese Behandlungen benötigen häufig viel Zeit. Menschen, die solch schwere Geschichten mit sich tragen, sind oft äusserst misstrauisch, insbesondere, wenn sie von ihren nächsten Bezugspersonen in der Kindheit und Jugend Verletzungen und Ablehnung erfahren haben. Die Beziehungsgestaltung ist langwierig, benötig viel Feingefühl und Verständnis. Die Geduld zahlt sich aber aus und die Patient:innen zeigen sich umso dankbarer und emotional spürbar im Kontakt. So haben wir es als Pflegeteam geschafft, für so Manche ein «sicherer Hafen» zu sein, ein Ort, an dem die Patient:innen endlich gehört und ernstgenommen werden.
Vor Monaten haben wir auf der Therapiestation mitbekommen, dass auf einer Akutstation für Erwachsene eine minderjährige Patientin ist, welche wohl unter einer Traumafolgestörung leidet. Sie sass in einem Isolationszimmer und wurde 1:1 von einer externen Pflegeperson betreut, sie wollte mit niemandem sprechen und hatte ihre Kapuze weit ins Gesicht gezogen. Ich beschloss mich der heranwachsenden Frau anzunehmen und ging auf die Nachbarsstation um eben mal «hallo» zu sagen. Und genau da begann die Therapie rückblickend schon. Ich setzte mich zu ihr hin, stellte mich vor und erzählte ihr kurz, warum ich sie sehen wollte und wo ich arbeite. Sie hörte mir zu, sah mich aber nicht an. Es lagen diverse Bücher im Zimmer gestapelt, darunter solche, welche die ich selbst gelesen hatte. Darauf angesprochen blickte sie auf und schien plötzlich interessiert an einem Gespräch. Es reichte also, eine Gemeinsamkeit zu finden, um in eine Beziehung zu treten. Nachdem wir uns ein wenig ausgetauscht hatten, bot ich ihr an, sich unsere Station anzusehen und machte ihr unsere «coolen Angebote» schmackhaft. Schliesslich kam sie mit und entschied sich, nach dem nahenden Wochenende, zu uns zu wechseln.
Damals war sie gequält von Flashbacks (wiederkehrende Bilder von traumatischen Ereignissen), nächtlichen Alpträumen, drängenden Suizidgedanken, zerrenden Schuld- und Schamgefühlen sowie Angstzuständen und Dissoziation. Seither ist viel passiert. Nachdem wir sie bei uns stabilisieren konnten, folgte eine intensive Therapie mit Traumaexposition, was bedeutet, dass sich die Trauma-Betroffenen den Inhalten der Ereignisse detailliert stellen müssen, um diese kognitiv einordnen und emotional verarbeiten zu können. Dies erfordert viel Zuwendung von mir als Bezugspflegeperson und dem ganzen Team. Dies heisst vor allem das Vermitteln von Sicherheit und Schutz.
Die junge Patientin ist mittlerweile befreit von den meisten traumabezogenen Symptomen und dabei, sich ausserhalb der Klinik wieder zurück ins Leben zu integrieren. Es bleiben noch die unangenehmen Gefühle wie Trauer und Wut, doch sie hat mit uns gelernt, dass diese heilsam sein können um loszulassen, was geschehen ist.
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