Wenn ich über den Innenhof der Klinik oder am klinikinternen Café - genannt „Kafi-Treff“ - vorbeigehe, grüssen mich nicht selten Gesichter, die ich noch aus meinem Praktikum in der Ausbildung auf der Akutstation kenne. Es sind teilweise Menschen, welche die Klinik schon lange kennen und somit auch viele vom Pflegepersonal. Darunter sind Patient:innen, die in akuten Phasen ihrer psychischen Erkrankung ein hohes Potenzial an selbst- und/oder fremdgefährdendem Verhalten an den Tag legen. Da renne ich bei einem Alarm also auf eine der Nachbarsstationen, um in einer Krisensituation zu helfen und stehe unerwartet vor einem altbekannten Gesicht - unter Tränen, in Rage oder kaum ansprechbar. Gerade dann zahlen sich vertrauensvolle, professionelle und fürsorglich gepflegte Beziehungen aus. Denn das Vertraute beruhigt und hilft dem Gegenüber, Anweisungen und Hilfestellungen anzunehmen.
Dann kann es sein, dass es meine Stimme ist, welche den entscheidenden Input gib, dass die Patientin wieder zugänglich wird, einen Moment aufblickt, wieder in Kontakt tritt und mit sich reden lässt. Nichts hat solch eine deeskalierende Wirkung, wie wenn man mit jemanden in einer tragfähigen guten Beziehung steht, selbst dann, wenn alle Gefühle überkochen.
Aktuell pflege ich die therapeutische Beziehung zu einer meiner „Trauma-Patientinnen“ regelmässig. Dies mittels Kontaktaufnahmen, bzw. Besuchen auf der Akutstation, wo sie sich gegenwärtig befindet. Kennengelernt hatte ich sie vor mehr als zwei Jahren, als sie sich auf unserer Psychotherapiestation zur Krisenintervention und späteren Diagnostik selbst eingewiesen hatte. Wie viele „meiner“ Patient:innen leidet sie an einer Traumafolgestörung. Nicht selten sind Menschen, welche Traumatisierungen in ihrer Lebensgeschichte haben, in Beziehungen äusserst misstrauisch und distanziert. Es lohnt sich, geduldig zu sein und das Gegenüber nicht so schnell aufzugeben. Immer wieder in Kontakt zu treten und neue Chancen zu geben.
Bei einer meiner letzten Spaziergänge, die ich mit der genannten Patientin auf dem Klinikareal gemacht habe, meinte sie äusserst dankbar zu sein, dass ich den Kontakt mit ihr aufrechterhalte. Es sei elementar für sie, um ihre Motivation beizubehalten, um die Therapie weiter zu machen, nicht aufzugeben. Ausserdem sei es eine neue und korrigierende Erfahrung für sie, zu erleben, dass es Menschen im Helfernetzwerk gibt, welche an sie glauben, da bleiben und nicht einfach aufgeben. Zu viel von der anderen Sorte hat sie schon erlebt, zu viele Enttäuschungen einstecken müssen. Die positive gegenteilige Erfahrung macht Mut und stärkt.
Die ganze Beziehungsarbeit, welche wir in der Pflege leisten, ist die tragende Kraft, welche psychisch Erkrankten helfen kann, weitere Schritte nach Vorn zu machen. Sei es, um Mut zu fassen, endlich einen neuen Arbeitsversuch zu starten, um vom schädlichen Zuhause auszuziehen, missbräuchliche Beziehungen zu verlassen oder sich der Traumatherapie zu stellen. So sind wir als Team manchmal der Fels in der Brandung, die Station ein sicherer Ort und die Bezugspflegeperson die haltende Hand.
Ich lass es mir also nicht nehmen, wann immer ich die Zeit finde, die Beziehungen, die ich zu ehemaligen Patient:innen zu pflegen. Zum einen kann ich sie so auf ihrem Weg weiter unterstützen und sei es nur mit einem „Hallo“ über den Klinikflur. Denn darin steckt Zuversicht und Wärme. Zum anderen versüsst es mir den Tag, wenn solch ein wohlwollender Kontakt möglich ist. Es zeigt mir, wofür ich am Morgen aufstehe, dass meine Arbeit wichtig ist und wertgeschätzt wird. Eine Win-Win-Situation also.
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