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Freiheit muss man sich nehmen

  • Susanna Langenbach

Relativ kurz nach dem Wiedereinstieg in die Pflege hat Simone W. die Kündigung erhalten – mit der Begründung, dass wegen Umstrukturierung Pensen reduziert würden. Um zu erkunden, ob noch anderes dahinter steckt, sucht sie Beratung.

Simone W. ist Pflegefachfrau, Mitte vierzig, und hat viele Jahre hauptsächlich als Familienfrau mit kleinem Pensum in einem Büro gearbeitet. Die Kinder sind unterdessen selbständiger, sodass sie vor einem knappen Jahr den Einstieg zurück in die Pflege gewagt hat. Nachdem sie vor einigen Wochen die Kündigung erhalten hat, wendet sie sich an die Laufbahnberatung, um einerseits zu verstehen, was zur Kündigung geführt hat und andererseits nach vorne zu blicken und zu klären, wo sie sich beruflich verorten soll.

Kündigung als Schock
Simone W. erzählt offen, dass die Kündigung im ersten Moment ein richtiger Schock für sie war. Sie habe zwar gemerkt, dass es in der Zusammenarbeit nicht so leicht war. Sie kam in ein Team, das schon über viele Jahre in unveränderter Zusammensetzung besteht. Vieles war eingespielt und kommuniziert wurde nur wenig.
Wirklich wohl hat sie sich nie gefühlt, weil auf Fragen ihrerseits zwar höflich reagiert wurde, aber dann doch eher kurz angebunden geantwortet, sodass sie die Zusammenhänge selten direkt verstehen konnte. So gesehen ist es für sie nicht nur schwierig, sondern auch erleichternd, nochmals genauer zu prüfen, wohin ihre berufliche Reise gehen soll.
Im Verlaufe des Gesprächs zeigt sich, dass Simone W. vielfältige Interessen, aber auch vielfältige Aufgaben hat, die sie ausserhalb des beruflichen Engagements beschäftigen. Es wird auch deutlich, dass Simone W. bis jetzt vor allem darauf bedacht war, die Erwartungen ihres Umfelds zu erfüllen. Das Wahrnehmen eigener Wünsche und Bedürfnisse ist für sie ungewohnt und gar nicht leicht. Die Kündigung hat W. von daher schon sehr verunsichert. Hätte sie nicht früher merken sollen
oder können, dass sich die Situation ungünstig entwickelt? Sie war so beschäftigt gewesen, die Einarbeitung zu schaffen und Fachwissen aufzuarbeiten, dass sie sich keine Zeit genommen hat, genauer hinzuschauen, was läuft.

Das Wünschbare als Orientierung
Nach dem ersten Gespräch hat Simone W. die Aufgabe zu erkunden, welche vielfältigen Faktoren zur Kündigung geführt haben könnten und worüber sie im Nachhinein und mit einiger Distanz froh sein könnte, dass es so gekommen ist. Sie geht der Frage nach: Was will ich tun, denken, erreichen – einmal unabhängig von den Erwartungen und Bedürfnissen anderer – einfach für mich? Mit dem Zusatz, dass alle Ressourcen vorhanden sind, also in keinerlei Hinsicht Einschränkungen bestehen, weder finanziell noch familien- oder altersbedingt. Es ist alles möglich, da sowohl Selbstvertrauen als auch Mut, Zeit und Geld vorhanden ist. Einzig das Wünschbare dient als Orientierung.
Simone W. kommt einige Wochen später zum zweiten Termin. Sie lacht und meint, ich hätte sie auf eine spannende Reise geschickt mit meinen Aufgaben. Über die Auseinandersetzung mit ihren eigenen Wünschen habe sie aus einer latent empfundenen Opferrolle herausgefunden. Sie habe gemerkt, sobald sie ganz auf die anderen fokussiert sei, beschränke sie auch ihren Handlungsspielraum im Sinne von «Ich kann nicht, weil …».
Mit der Aufgabe, nur ihre Wünsche als Orientierung zu beachten, sei sie erst komplett überfordert gewesen. Doch nach und nach habe sie sich dem angenähert, was sie wirklich möchte und ist jetzt ganz beglückt darüber: Sie möchte eine Auszeit nehmen und einen Monat im Ausland einen Sprachaufenthalt buchen. Sie hatte immer davon geträumt, doch dann gab es tausend Gründe, warum es nicht ging. Doch jetzt sei Schluss mit dem Aufschieben!
Simone W. strahlt und meint: «Schon jetzt wäre ich bereit, meiner ehemaligen Chefin zu danken, dass sie mir gekündigt hat! Noch weiss ich nicht, ob ich nach meiner Auszeit einen weiteren Versuch in der Pflege mache oder ganz etwas Anderes.»
Es sei offen, wohin die Reise weiter führt. Doch sie lasse sich Zeit: «Wer weiss, welche Ideen in der Ferne in mir aufsteigen?» Und sie fügt an: «Selbst meine Familie habe ich mit meiner Freude angesteckt. Die finden es toll, dass ich mir einen Freiraum schaffe – wer hätte das gedacht?»

Sich durch die Schale picken
Zum Verlauf der Beratung von Simone W. kommt mir der Spruch von Meret Oppenheimer in den Sinn: «Freiheit muss man sich nehmen, sie wird einem nicht gegeben.» Ich würde es sogar noch deutlicher sagen: «Sie kann einem nicht gegeben werden», analog dem Vogel, der sich selber durch die Eierschale picken muss.

Bemerkungen

Susanna Langenbach

Susanna Langenbach ist Laufbahnberaterin für Gesundheitsberufe im biz Oerlikon. Regelmässige Informationsveranstaltungen vor Ort und individuelle Beratung unterstützen Interessierte beim Entscheiden und Umsetzen. Die Berufs- und Laufbahnberaterinnen kennen die Berufe im Gesundheitswesen, die Karrieremöglichkeiten und den Arbeitsalltag in Spitälern, Heimen oder der Pflege zu Hause. 

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