All diese Erfahrungen zusammen haben mich wunderbar auf meine jetzige Ausbildung als FaGe vorbereitet, denn sie ist sehr breit gefächert. In der Schule lernt man nie, wie man sich verhalten soll, wenn ein grosser, kräftiger Mann vor einem steht und sich selbst nicht mehr beherrschen kann. Auch lernt man nirgends, was man sagen soll, wenn eine Frau von ihrem sexuellen Missbrauch und der Gewalt erzählt. Die Menschlichkeit muss man in diesen Beruf mitbringen; viel Empathie und Mitgefühl. Aber das richtige Verhalten in schwierigen Situationen muss man sich angewöhnen.
Letztens zum Beispiel ging ich an der Stationsküche vorbei als ein Patient heraustrat, mit einem Brotmesser in der Hand auf mich zu kommend. Was macht man da? Zur eigenen Sicherheit tragen wir immer einen Notfallalarm auf uns. Die Weisung ist, diesen lieber einmal zu viel als zu wenig auslösen. Doch in diesem Moment war ich nicht fähig, dies zu tun. Stattdessen sagte ich ihm einfach, er solle das Messer runternehmen. Lustigerweise tat er es ohne Widerstand, denn eigentlich wollte er mir nur sagen, dass das Messer nicht mehr scharf sei.
Manchmal ist es schwierig, die Situation richtig einordnen zu können. Manche Patienten haben einfach einen speziellen Humor und Sarkasmus und nochmals andere sind tatsächlich schnell gereizt und aufbrausend, aber dies zu unterscheiden gelingt mir noch nicht immer.
Das Erste und somit vielleicht auch Wichtigste was man mir hier in der Psychiatrie beibrachte, war Nähe und Distanz. Und auch da ist es schwierig, die richtige Mitte zu finden. Denn einerseits müssen wir empathisch sein, mit den Patienten den Aufenthalt gut meistern und stellvertretend für ihr gewohntes Umfeld da sein, andererseits müssen wir die Beziehung natürlich auf professioneller und beruflicher Ebene halten.
Als Lehrling hat man es nicht einfach; viele Patienten sind um einiges älter als ich, haben mehr Lebenserfahrung, ein grösseres Wissen und auch einen gewissen Stolz. Dieser Stolz wird bei manchen gekränkt, wenn ein Teil ihres Lebens in meinen unerfahrenen, unwissenden und jungen Händen liegt.
Aber man muss sagen, die meisten können über das Alter und die Stellung hinwegsehen und behandeln mich wie alle anderen. Und das ist es, was ich an diesem Beruf so liebe; ich komme mit verschiedensten Menschen in Kontakt.
Man lernt über seinen Rand hinaussehen, alle und alles so akzeptieren, wie es halt ist und das macht mich glücklich. Andere Menschen profitieren von mir, aber ich profitiere genauso von ihnen. Was mir aber fast am besten gefällt ist, wenn man den Patienten beim Eintritt sieht, ihn durch seinen ganzen Aufenthalt begleiten kann und bei der Entlassung einen komplett anderen Menschen vor sich hat, optisch wie auch charakterlich. Dies gibt mir das Gefühl, etwas Gutes beigetragen zu haben.
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