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Unsere Hände – ein wichtiges Werkzeug in der Pflege

  • Esther Peyer

Damals, als ich meine Erstausbildung zur Coiffeuse machte, wurden wir von unserem Fachlehrer gefragt, was unserer Meinung nach das wichtigste Werkzeug in unserem Beruf sei. Uns kamen Schere, Kamm oder Pinsel in den Sinn. Er jedoch meinte dazu nur: «unsere Hände». Auch in meinem jetzigen Beruf in der Pflege haben meine Hände nichts von ihrer Wichtigkeit verloren. Doch wo brauche ich sie überall?

Meine Hände drücken bereits am Morgen zur Begrüssung die Hand der Bewohner:innen, damit der Tag mit einem kräftigen Händeschütteln beginnt. Sie holen und reichen Pflegeutensilien oder bedienen verschiedenste Geräte. Sie geben gezielte Impulse oder Druck beim Drehen, Aufsitzen oder Umsetzen in den Rollstuhl. Sie werden zum Aufstehen hingereicht und ruhen beim Gehen unterstützend auf dem Rücken der Bewohner:innen.

Meine Hände fahren einem weinenden Mann über den Rücken, wissend, dass diese Berührungen das Ausschütten von Glückshormonen anregen können. Sie geben Trost und Geborgenheit, sie gewähren der Trauer ihren Raum und erlauben ihr Dasein im Leben. Sie reichen Taschentücher und streichen sanft über den Unterarm. Bei vorhandener Fremdsprachigkeit oder bei Menschen mit demenzbedingtem Sprachverlust formen sie sich zu Wörtern, Begriffen und Gesten.

Esther round
«Bei vorhandener Fremdsprachigkeit oder bei Menschen mit demenzbedingtem Sprachverlust formen sie sich zu Wörtern, Begriffen und Gesten.» 

Meine Hände halten fest umschlossen die Fäuste einer Frau, die gerade wegen Verkennung ihrer Realität ein aggressives Phänomen zeigt und wild um sich schlägt. Sie gehen mit jedem Stoss, Ziehen und Drücken mit, geben der Frau und mir selbst Halt und Schutz. Zusammen geben wir der Wut Ausdruck und gestehen ihr den Raum zu, den die Bewohnerin in diesem Moment empfindet.

Meine Hände drücken in Windeseile kontrollierte Medikamente aus den Blistern, ziehen fokussiert Spritzen auf und tupfen sanft über verwundete Haut. Sie drücken Stethoskope auf den Bauch, ertasten Hämatome und kleben Pflaster. Sie spüren den Puls, ziehen die Blutdruck-Manschette zu und halten die Taschenlampe, um in die Augen zu schauen. Flink tippen sie über die Tastatur und dokumentieren die gemessenen Daten.

Meine Hände halten liebevoll die Hände eines Mannes mit Demenz, der in mir seine verstorbene Ehefrau sieht und sich nach körperlicher Zärtlichkeit sehnt. Mit meinen Händen um seine kann ich ihn direkt berühren und selbst die Nähe  bestimmen, ohne auf eine unerwünschte Berührung seinerseits zu treffen. Meine Hände vermitteln dabei Nähe und bilden eine kontrollierbare Komfortzone.

«Mit meinen Händen um seine kann ich ihn direkt berühren und selbst die Nähe bestimmen, ohne auf eine unerwünschte Berührung seinerseits zu treffen.»

Meine Hände legen sich unter die Hand einer Frau, die im Sterben liegt. Sie vermitteln Anwesenheit, Anteilnahme und Körperwärme. Sie werden auch da sein, wenn das Herz aufgehört hat, zu schlagen, um den Puls zu ertasten und den Tod festzustellen. Sie werden sich auf die Augenlieder legen und diese schliessen. Sie werden das Telefon zur Hand nehmen, um die Angehörigen zu informieren und beim Waschen und schönem Ankleiden der Frau mithelfen. Sie werden zum Kondolieren die Hände der Familie drücken und zuletzt die Todesanzeige im Glaskasten aufhängen.

«Sie werden auch da sein, wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen, um den Puls zu ertasten und den Tod festzustellen.» 
Esther round

Vor dem Dienstende werden meine Hände gewaschen und eingecremt. Sie haben für heute genug erlebt und sehnen sich danach, gemütlich vor dem Fernseher unter der Kuscheldecke zu ruhen. Sie wühlen noch einmal kurz nach dem Garderobenschlüssel, streifen die Arbeitskleidung ab, ziehen die eigenen Kleider an und stossen zuletzt die Türe in Richtung Feierabend auf.

Wenn meine Hände sprechen könnten, würden sie sagen:
«Ich habe Sie gerne.»
«Ich bin für Sie da.»
«Sie sind nicht allein.»
«Ich wünsche Ihnen eine gute letzte Reise.»

Bemerkungen

Esther Peyer

Esther Peyer ist diplomierte Pflegefachfrau im Gesundheitszentrum für das Alter Bombach der Stadt Zürich und berichtet über Themen und Situationskomik aus der Langzeitpflege. Mit ihren Blogs möchte sie Menschen im Pflegeberuf, oder jene, welche sich für die Pflege interessieren, zum Nachdenken, Mitfühlen und Schmunzeln anregen, ohne dabei Schwierigkeiten zu tabuisieren.

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