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Remember why you started

  • Esther Peyer

Ich schiebe einen Bewohner im Rollstuhl vor mich hin. Zuvor habe ich ihm geholfen sich zu pflegen. Dafür habe ich ihn beim Waschen im Bett zur Seite gedreht und seine Haut mit Bodylotion eingecremt. Ich habe ihm die Hosen und Socken angezogen, ihn aufgesetzt und ihm geholfen, sich in seinen Rollstuhl zu setzen. Unsere Konversation war von meiner Seite her anleitend und bemühend, von seiner Seite her eher unzufrieden und provokativ.

Durch die verbale Anspannung musste ich mich innerlich immer wieder zur Ruhe motivieren. Dank meiner Empathie gelang es mir gut, denn ich weiss, dass menschliche Reaktionen oft einen tieferen Grund haben. Eher widerwillig liess sich später der Bewohner sein Unterhemd und das T-Shirt anziehen. Halblaut murmelte er Beschimpfungen vor sich hin, die selbstverständlich laut genug waren, dass ich sie hören konnte. «Gracias por nada», dachte ich knurrend.

Später in der kleinen Pause nehme ich mein Handy zur Hand, um mir die Zeit mit einem Kreuzworträtsel zu vertreiben. Dabei schaue ich auf den Aufkleber, den ich bewusst auf die Vorderseite meiner Handyhülle geklebt habe. Mit geschwungenen Buchstaben steht da: «Remember why you started». Genauso wie ich den Spruch gezielt gewählt habe, setzt er in mir wie ein Kaskadenbrunnen meine Gedanken zur Selbstreflexion frei: Ja, warum habe ich einmal angefangen in der Pflege zu arbeiten? Und was macht es mit mir, wenn solche herausfordernde Momente wie vorhin nicht mit meiner gewünschten Vorstellung der Pflege übereinstimmen? Dafür gehe ich immer zu meinen sogenannten «Roots» zurück, zu der Zeit, in dem mir das «Warum» noch im Zusammenhang mit dem Einstieg in die Pflege gestellt wurde. Damals waren meine «Roots» wie ein umgegrabener, vorbereiteter Acker, auf dem noch nichts wächst.

Aus der Zeit meiner Anfänge habe ich einen Leitsatz definiert, den ich heute immer noch so unterschreiben würde: Behandle deine Mitmenschen wie dich selbst. Das beinhaltet aus meiner Sicht nicht eine aufopfernde, selbstlose Pflege, sondern benötigt sowohl die eigene Fürsorge wie auch eine regelmässige Reflexion in dem, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe. Es braucht ein immer wiederkehrendes Bewusstsein, herausfordernde Situationen zu decodieren, sich des Abhängigkeitsgefälle bewusst zu sein und zu wissen, dass Schmerz, Wut auf Gegenwart und Angst vor Zukunft Menschen persönlich verändern kann. Aus Verständnis wächst Empathie. Schlussendlich ist es genau dieses Mitfühlen von menschlichen Empfindungen und Reaktionen, die mir am Herzen liegen und ich als meine Begabung betrachte. Genau aus diesen Gründen habe ich mich damals für die Pflege entschieden und diese Erkenntnis spriesst wie ein mächtiger Baum aus meinem Acker hervor, wächst täglich weiter, blüht und trägt immer wieder aufs Neue Früchte.

Das beinhaltet aus meiner Sicht nicht eine aufopfernde, selbstlose Pflege, sondern benötigt sowohl die eigene Fürsorge wie auch eine regelmässige Reflexion in dem, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe.

Zu Wissen, dass ich einen grossen Teil der letzten geschriebenen Seiten des Lebensbuches unserer Bewohnerinnen und Bewohner mitgestalte, berührt mich immer wieder aufs Neue. Diese letzten Seiten verdienen ihren Inhaltsreichtum. Schnell verliert sich der Pflegealltag im zeitlichen, in quantitativen und rechtlichen Verpflichtungen. Da ist es so wichtig, dass wir uns immer wieder die Zeit für uns selbst nehmen können, in Gedanken auf unsere «Roots» zurückkehren und uns selbst liebevoll sagen: «Remember why you started».

Bemerkungen

Esther Peyer

Esther Peyer ist diplomierte Pflegefachfrau bei Thurvita AG in Wil St. Gallen und berichtet über Themen und Situationskomik aus der Langzeitpflege. Mit ihren Blogs möchte sie Menschen im Pflegeberuf, oder jene, welche sich für die Pflege interessieren, zum Nachdenken, Mitfühlen und Schmunzeln anregen, ohne dabei Schwierigkeiten zu tabuisieren.

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