Obwohl ich vor einer ganzen Weile die internen Kurse bereits besucht habe, ist meine Neugier längst nicht gestillt. Ganz im Gegenteil. Die begeisternden Dozierenden haben in mir den Wunsch verstärkt, noch mehr wissen und können zu wollen.
Bereits bei meinem Einstieg in die Berufswelt mit 16 Jahren durfte ich Kinder und Jugendliche mit Autismus in einer Sonderschule kennenlernen und begleiten. Ich fand schnell den Zugang zu ihnen und war bald begeistert von diesen Begegnungen. Von ADHS bin ich sogar selbst betroffen, hatte allerdings im Gegensatz zu vielen anderen Gleichgesinnten das Glück, damit ziemlich gut durchs Leben zu kommen. Vermutlich nicht zuletzt, weil ich meine «Nische» in der Berufswelt gefunden habe, die mich begeistert, das Lernen erleichtert und mich morgens motiviert aufzustehen.
Die beiden genannten Störungsbilder werden auch als Formen der «Neurodiversität» bezeichnet und ein Grossteil der Patient:innen auf unserer Station sind davon betroffen. Gerade bei Frauen werden die beiden Diagnosen häufig zu spät gestellt und so kommt es vor, dass die jungen Erwachsenen bei uns zum ersten Mal davon erfahren und Erleichterung verspüren, wenn sie darin gesehen werden und Hilfe bekommen.
In der Weiterbildung zur ADHS/ASS-Coach werde ich u.a. lernen, wie die Störungsbilder von anderen diagnostisch abzugrenzen sind. Gerade die Krankheitsbilder, welchen mir am meisten begegnen (Borderline-Persönlichkeitsstörung und posttraumatische Belastungsstörung) weisen mehrere Symptome auf, die ebenso bei ADHS oder ASS vorkommen können. Im Alltag mit den Patient:innen macht dies durchaus einen Unterschied: so sind wir beispielsweise bei ADHS-Betroffenen nachsichtiger, wenn Termine oder Hausaufgaben vergessen gehen. Dies heisst allerdings nicht, dass wir es einfach hinnehmen. Vielmehr versuchen wir gemeinsam mit den Patient:innen Strategien zu erarbeiten, wie sie es in Zukunft schaffen, an alles zu denken.
Nebst der wichtigen Unterstützung durch Medikamente hilft Routine, Geduld und viel Verständnis bei ADHS/ASS-Patient:innen. Dies bedeutet nicht nur Verständnis von «Aussen», sondern genauso Mitgefühl für sich selbst. Die Patient:innen bringen nicht selten Erfahrungen von Strafen und Unverständnis aus Elternhaus und der Schule mit, zudem sind sie meist äusserst selbstkritisch. Dies beobachte ich genauso bei Menschen mit Autismus. Dazu haben sie gelernt, sich möglichst an die Umgebung anzupassen, dies auf Kosten ihrer eigenen Grenzen und Bedürfnisse. ASS-Betroffene verstehen typischerweise die sozialen Regeln nicht intuitiv, sondern müssen diese mühsam erlernen und durch ihre hochsensible Sinneswahrnehmung geraten sie schnell in eine Reizüberflutung. Mit den eigenen und Emotionen anderer umzugehen, geschweige denn diese zu benennen oder zu verstehen, fällt den Patient:innen schwer. Dadurch entstehen gerne Missverständnisse und viel Frust, was wiederum die schon beschriebenen Schwierigkeiten noch verstärkt.
Nun freue ich mich, dass ich im März mit der Weiterbildung «ADHS/ASS-Coach» starten kann, um meine Erfahrungen aus der Praxis mit der Theorie vertiefen zu können. Dabei erhoffe ich mir einerseits meine Kolleg:innen kompetent anleiten zu können und andererseits meine Fertigkeiten auszubauen, um Patient:innen zu helfen, in einer «neurotypischen Welt» besser klarzukommen.
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