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Ich rette Leben

  • Michaela Maureen Königshausen

In meiner Küche zu Hause hängen sie, all die Briefe, die ich bisher bekommen habe von Menschen, die ich als Dipl. Pflegefachperson begleiten durfte. Es sind Patientinnen und Patienten, die sich bei mir bedanken, dass ich an sie geglaubt habe und das tue ich auch jetzt noch.

Die Zeilen berühren mich immer wieder, wenn ich sie lese. Sie sind geschrieben von Menschen, die am Abgrund standen, die sich aufgegeben hatten. Einige haben gar einen Grossteil ihrer Teenagerzeit und als junge Erwachsene in der Psychiatrie verbracht.

Teilweise bedeutet das für mich, als zuständige Bezugspflegeperson für eine einzelne Patientin oder einen einzelnen Patienten einzustehen, und im interdisziplinären Team zu argumentieren, weshalb ich für die betreffende Person die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) als Ausweg und Chance in ein erfüllteres Leben sehe. Denn die DBT ist die Wahlbehandlung im Umgang mit “chronischer Suizidalität”. Seit den bald drei Jahren, die ich nun auf der Therapiestation arbeite, habe ich schon einige Personen kennengelernt, welche auf dem besten Weg waren “Psychiatriegeschichte” zu schreiben. Umso glücklicher macht es mich, gerade an die denken zu können, die es mit unserer Unterstützung geschafft haben, ausserhalb der Klinik wieder Fuss zu fassen, sich endlich zu stabilisieren.

Ich habe Menschen kennengelernt, die sich jahrelang schwer selbst verletzt haben und durch den Therapieaufenthalt zum ersten Mal bereit waren, dies aufzugeben und es auch schafften. In der Pflege zu arbeiten heisst, an diese Menschen zu glauben, dass sie Heilung von ihrer Erkrankung erfahren können und es sich lohnt, mit ihnen gemeinsam zu kämpfen, denn sie geben immer ihr Bestes. Es bedeutet, nicht die Hoffnung aufzugeben, selbst wenn beispielsweise eine Patientin nach Monaten nicht mehr als 1-2 Stunden pro Nacht schlafen kann, weil sie so gequält ist von den Symptomen einer Traumafolgestörung. Als Pflegefachkraft bin ich da, wenn aufkommende Gefühle und Wiedererleben mein Gegenüber erfassen und ich helfe ihnen zu erfahren, dass sie dies durchstehen und Erleichterung erleben können.

Eine meiner jungen Bezugspatientinnen, die ich bereits in meinem Abschlusspraktikum im Studium kennengelernt hatte, war damals meist erst nach einem Suizidversuch oder gegen ihren Willen (per Fürsorgerische Unterbringung, kurz FU) in der Klinik. Erst in der Jugendpsychiatrie in diversen Kliniken, später auf Akutstationen und schliesslich bei uns zur Therapie. Als sie von mehreren Aufenthalten, mit immer grösseren Abständen dazwischen, das letzte Mal bei uns war, gelang es ihr, sich zu melden noch bevor es zu einem Suizidversuch kam. Was mich sehr freute und ebenso die Patientin, die sich zu Beginn schämte und dann erkannte, dass es dieses Mal anders, besser war. Dank dem Vertrauen und dem Sicherheitsgefühl, das sie zu uns aufbauen konnte, war es ihr möglich, präventiv einen stationären Aufenthalt zu machen.

Häufig wissen wir nicht, was langfristig mit den Leuten geschieht, die bei uns austreten. Manche melden sich mal wieder, wenn sie in der Nähe sind oder lassen Grüsse ausrichten. Von der oben beschriebenen Patientin hatte ich über ein Jahr nichts mehr gehört, da mache ich mir manchmal schon auch ein bisschen Sorgen. Tatsächlich habe ich sie allerdings vor kurzem zufällig an einem Bahnhof angetroffen, sie strahlte mich beim Vorbeigehen an und winkte mir. Da ging mir das Herz auf.

In der Regel deuten wir es immer als gutes Zeichen, wenn wir nichts mehr hören, denn dann haben sie es geschafft und vielleicht sehe ich Einige mal wieder von Weitem, dann freue ich mich!

Nicht selten sagt oder schreibt mir eine Patientin oder ein Patient: Sie haben mir das Leben gerettet.

Bemerkungen

Michaela Maureen Königshausen

Im Frühjahr 2019 schloss Michaela Maureen Königshausen ihr Studium zur diplomierten Pflegefachfrau HF ab. Ihre Praktika absolvierte sie alle in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, wo sie anschliessend ihren Platz auf einer Therapiestation für junge Frauen gefunden hat. Mittlerweile ist sie als Berufsbilder*in tätig und seit Herbst 2022 Fachexpertin. Die Station hat sich auf die Dialektisch-Behaviorale-Therapie, sowie Traumatherapie spezialisiert.

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