Gesprächsführung ist sehr vielfältig und eine Hauptaufgabe der psychiatrischen Pflege. Tagtäglich führen wir als Pflegende Gespräche mit den verschiedensten Personen über die unterschiedlichsten Inhalte. Neben interdisziplinären Besprechungen und Gesprächsgruppen leiten wir natürlich auch Bezugspersonen- und Krisengespräche. Bei solchen Gesprächen reflektieren wir zusammen mit den Betroffenen den aktuellen Gesundheitszustand, führen Massnahmen durch oder legen Ziele fest.
Das hört sich in der Theorie einfach an, gestaltet sich jedoch in der Praxis sehr viel komplizierter. Der aktuelle Gesundheitszustand ist immer auch verbunden mit vergangenen Erlebnissen und Erfahrungen, dem sozialen Netzwerk und der Identität. Wir können also nur ein ganzheitliches Bild vom aktuellen Gesundheitszustand erhalten, wenn wir alle Faktoren miteinbeziehen. Deshalb ist es kein Wunder, dass ich als Pflegender mit Gesprächsinhalten konfrontiert werde, welche Unbehagen auslösen. Ich höre Geschichten von Verlust und Trauer, von Einsamkeit und Selbstwertproblemen oder von schrecklichen Unglücken. Nicht selten verspüre ich Empathie mit den Betroffenen und würde gerne Unterstützung bieten und etwas an der Situation ändern. Diese aktiv hervorgerufene Empathie löst einen regelrechten Handlungsdruck aus, da die Situation auch für den Zuhörer unangenehm wird. Man ist sprachlos und weiss nicht, wie man die Situation verbessern kann. Dies führt zur Überforderung. Dabei ist die Antwort auf die Frage ganz einfach: Ich kann die Situation nicht verbessern. Ich kann lediglich die Sichtweise auf die Situation ändern und die Gefühle dieser gegenüber abschwächen. Um Betroffenen dabei Unterstützung bieten zu können, reicht es oftmals schon, einfach zuzuhören und das Gehörte wiederzugeben. Es klingt banal, doch für viele Betroffene ist eine Person, welche zuhört, schon Unterstützung genug.
Beim Erzählen von Erlebtem passieren nämlich mehrere Denkprozesse. Man reflektiert die eigenen Gefühle und Gedanken sowie sein Verhalten, positioniert sich emotional und gedanklich und bewertet somit die Situation. Durch Gespräche versuche ich als Pflegender genau diese Selbstreflexion zu aktivieren, um dann mit ihr arbeiten zu können. Denn jeder ist für seine eigene Gesundheit mitverantwortlich. Man entscheidet bis zu einem gewissen Grad selbst, welchen Weg man geht und wie man dies tun möchte. Dies ist jedenfalls meine Haltung in der psychiatrischen Pflege und seitdem ich so arbeite, verspüre ich einen geringeren Handlungsdruck. Ich habe weiterhin stets ein offenes Ohr und nehme die Erlebniswelt und Gefühle der Betroffenen wahr, doch mir ist mittlerweile bewusst, dass Zuhören schon mehr Unterstützung bietet als ich zuerst annahm. Dies zeigt sich auch in der Praxis; oft wirken Patientinnen und Patienten nach einem Gespräch entlastet und entspannter als davor, obwohl sich an ihrer Situation noch nichts geändert hat, ausser dass sie von jemandem als Individuum mit einer eigenen Geschichte und mit eigenen Problemen wahrgenommen wurden.
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