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Pflege – Die Mutprobe

  • Katharina Rüdisüli

Der Denkanstoss kam von einer viel weiseren Pflegefachfrau. Sie sinnierte vor sich hin und verkündete: «Pflege braucht Mut». Der Gedanke war mir so noch nie gekommen, aber die Poesie dahinter, die hat mich sofort begeistert. Fachsimpeln wir hier also über Hochmut, Schwermut oder vielleicht zu Übermut? Wir debattieren Pflege-Mut.

Wir Pflegefachpersonen werden im Alltag immer wieder bewundernd angeschaut und gefragt: «Wow, wie könnt ihr das nur tun?» «Ich könnte das ja nicht». Es schmeichelt, wie beeindruckt einzelne Gesellschaftsmitglieder von uns sind. Und trotzdem wäre meine ehrliche Antwort wohl «Wir machen das einfach». Das? Das Pflegen. Wir haben das ja auch passioniert und über Jahre hinweg gelernt. Viele von uns haben nicht nur eines, sondern gleich mehrere Diplome vorzuweisen. Wir lernen, wie wir auf Menschen zugehen können, wie wir sie anfassen und mit ihnen kommunizieren sollen. Wo die Pflegeschwerpunkte zu setzen sind etcetera. Ich mag mich jedoch nicht erinnern, dass mir einst vorgesetzt wurde: Heute lernt ihr mutige Pflegende zu werden. Nein, das stand wohl zwischen den Zeilen.

Nun gut, Mut. Da hat es schon etwas Wahres daran. Es braucht Mut, morgens zum Dienst zu erscheinen und absolut nicht zu wissen, was mich erwartet. Ich betrete die Intensivstation und sehe dann meinen Namen neben jenen der Patient:innen stehen, die ich während der folgenden Schicht begleiten darf. Ich erfahre in jenem Moment mit welchen Diagnosen, Geräten und aktuellen Herausforderungen ich konfrontiert werde. Ich konsultiere zwar zuerst die Patientendokumentation und kann mich kurz einarbeiten. Aber dann mache ich einfach.

"Es braucht Mut, morgens zum Dienst zu erscheinen und absolut nicht zu wissen, was mich erwartet."

Wie die Patient:innen aussehen, wie sie auf mich reagieren und welchen Charakter in ihnen wohnt, spüre ich erst am Bett. Ich lerne diesen Menschen in der nächsten Zeit besser kennen. Ich erspüre ihn, trete in Kontakt. Versuche die Wellenlänge zu finden. Ich taste mich mutig heran und lasse mich auf mein Gegenüber ein.

Ist es mutig, die Patient:innen unter Wahrung ihrer Integrität an ungewohnten Körperstellen zu berühren, wenn es zur Gesundung beiträgt? Oder ist es nur mutig, die Gerüche von Fieberschweiss, getrocknetem Blut oder dünnem Stuhlgang auszuhalten? Sich zu jeder Tageszeit und auch an Feiertagen zu Gesprächen über den Sinn des Lebens einzulassen? Oder immer wieder Paroli zu bieten, wenn die Patient:innen aufgeben wollen?

Mut in der Pflege hat viele Gesichter. Manchmal ist er gut getarnt und liegt im Zuzwinkern oder im Händedruck. Manchmal schreit der Mut ganz laut «hier bin ich». Wenn wir mit unseren chronisch kranken Patienten, die schon Wochen mit uns verbracht haben, alle Schläuche, Kabel und Geräte zusammenpacken und die Komfortzone Intensivstation verlassen und auf das Helikopterdach rollen. Wir geniessen für einen Augenblick die Aussicht mit den Patient:innen. Wir vergessen kurz den Unmut, dass die Behandlung sich in die Länge zieht. Wir ermutigen uns stattdessen weiterzumachen.

Wie auf diesem Werbeplakat, das ich nicht vergesse. Da stand: «Mut heisst machen». Und genau das tun Pflegende. Wir muten uns das zu und machen.

Bemerkungen

Katharina Rüdisüli

Als Dipl. Expertin für Intensivpflege arbeitet Katharina Rüdisüli im Universitäts-Kinderspital Zürich. Von ihrem abwechslungsreichen Arbeitsalltag, ihren emotionalen Begegnungen und abenteuerlichen Herausforderungen erzählt sie hier im PulsBlog. 

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