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Medizin- oder Pflegestudium – ein Entscheidungsversuch

  • Katharina Rüdisüli

Freudestrahlend kam mir Lou auf dem Korridor entgegen. Stolz erzählte sie mir, dass sie sich nun angemeldet habe. Sie würde im September ihr Pflegestudium beginnen. Wow, ich war begeistert. Die Freude war ganz meinerseits.

Damit ihr euch mitfreuen könnt, muss ich ausholen. Dieser Entscheidung sind nämlich etliche Gespräche vorausgegangen. Ich kenne Lou von ihrer Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit. Ich weiss, dass ihr Traumberuf Ärztin war. Das wollte sie schon immer werden und arbeitete auf diesen Abschluss hin.

Sie hat die Berufsmatura abgeschlossen, die Passerelle bestanden, sich mit Fleiss auf den Numerus Clausus vorbereitet und die Prüfung abgelegt. Nur wer bei diesem Test genügend Punkte sammelt, wird zum Medizinstudium zugelassen. Wir waren alle angespannt und dann traurig, als es knapp nicht gereicht hat.

Wieder diskutierten wir. Lohnt es sich, nochmals anzutreten? Warum wollte Lou denn Ärztin werden? Es war ihr Kindheitstraum. Sie wollte an vorderster Front mithelfen. Sie wollte den Patient:innen aktiv Gutes tun, ihnen beistehen und sie beschützen. Sie wollte zur Heilung beitragen. Lou hat sich mit Assistenzärzt:innen unterhalten, sie begleitet und befragt. Den Alltag der Pflege kannte sie von ihrer Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit bestens. Doch wo war ihr Platz?

Wir versuchten Unterschiede herauszuarbeiten. Meist startet das ärztliche Team die Schicht mit uns, bleibt aber länger. Ihre Büroarbeit frisst noch etwas mehr Zeit als unsere Patientendokumentation. Es ist die ärztliche Aufgabe die Patient:innen zu visitieren und genaustens zu untersuchen, um herauszufinden was für gesundheitliche Beschwerden sie haben und wie wir helfen können. Sie sind Meister:innen der Diagnostik. Sie wissen bis ins kleinste Detail, wie der menschliche Körper funktioniert. Das ärztliche Team trägt die Hauptverantwortung und ordnet Therapiemassnahmen an. Die Ärzt:innen klären die Eltern und Kinder über Untersuchungsbefunde auf und nehmen an zig Rapporten und interdisziplinären Gesprächen teil.

"Die Kinder und Jugendlichen kommen zu uns ins Spital, weil sie Hilfe brauchen. Sie bleiben aber, weil sie Pflege, Therapie und Überwachung benötigen."

Da kommen wir Pflegefachpersonen ins Spiel. Wir richten ihr temporäres Zuhause ein. Wir organisieren das Essen. Wir bedienen die medizinischen Geräte. Wir richten und verabreichen die verordneten Medikamente. Wir beobachten die Patient:innen. Wir kontrollieren, wie es ihnen geht und ob sich ihr Zustand verbessert. Wir hören zu, wir motivieren und koordinieren. Wir fragen nach, ob es auch der Katze daheim gut geht, und freuen uns ab dem Besuch der Grosseltern. Wir sind beim Genesungsprozess ganz nahe mit dabei.

Nach einem Bachelorstudium kann ein Masterstudium in Pflege folgen. Es ist möglich, sich explizit für die Forschung zu begeistern oder sich als Pflegeexpert:in in einem Bereich zu spezialisieren. Pionier:innen arbeiten heute schon als Nurse Practitioner: Sie konsultieren Patient:innen und tragen selber die Verantwortung in ihrem Bereich.

Manchmal wäre auch ich gerne Ärztin und wüsste ganz genau Bescheid. Ich könnte dann das Röntgenbild selbst interpretieren, wüsste, welches Medikament das beste Resultat liefern würde, oder könnte die Operation gleich selbst durchführen.

Mit dem Internet und dem Zugriff auf alle Datenbanken kann ich sehr viel nachlesen, was ich gerne wissen würde. Dank den vielen Jahren Berufserfahrung und gemeinsamen anregenden Diskussionen mit dem ärztlichen Team kann auch ich heute schon einige Röntgenbilder in den Grundzügen deuten.

Was ich weiss, ist, dass ich an dem Ort bin, an dem ich sein will. Ich will nahe bei den Kindern sein. Ich will ihre Hände halten, ihre Haare flechten und die Medikamente verabreichen. Ich will sie motivieren und mobilisieren. Ich will die Verbände selber wechseln und die Maschinen bedienen. Ich will die Kinder untersuchen und das ärztliche Team über den aktuellen Zustand informieren. Ich geniesse diese Teamarbeit. Dass ich rufen kann, wenn ich Hilfe brauche und sie mir das beibringen, was ich noch nicht weiss.

"Was ich weiss, ist, dass ich an dem Ort bin, an dem ich sein will. Ich will nahe bei den Kindern sein. Ich will ihre Hände halten, ihre Haare flechten und die Medikamente verabreichen. Ich will sie motivieren und mobilisieren."

Für Lou mache ich Freudensprünge. Auch sie hat sich aktiv für die Pflege entschieden. Das Nachdenken hat ein Ende gefunden. Sie weiss nun, dass die pflegerischen Tätigkeiten sie mehr erfüllen werden und sie sieht genau darin die Attraktivität, acht Stunden am Bett der Kinder zu verbringen und da als helfende Hand nahe mit dabei zu sein. 

Schön, konnte Lou für sich eine Entscheidung treffen. Ich wünsche ihr ein superabwechslungsreiches Studium. Dass sie noch genauer lernt, wie der menschliche Körper funktioniert und wie man diesen systematisch untersuchen kann. Wie man mit der ganzen Familie optimal kommuniziert. Warum interprofessionelle Zusammenarbeit wichtig ist und wie wir heutzutage pflegen. Das wird spannend, kurzweilig, berührend und ganz bestimmt auch immer wieder lustig – versprochen!

Bemerkungen

Katharina Rüdisüli

Als Dipl. Expertin für Intensivpflege arbeitet Katharina Rüdisüli im Universitäts-Kinderspital Zürich. Von ihrem abwechslungsreichen Arbeitsalltag, ihren emotionalen Begegnungen und abenteuerlichen Herausforderungen erzählt sie hier im PulsBlog. 

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