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Von der Lieblingshose zum Spitalhemd: Die unsichtbare Sprache der Kleidung

  • Katharina Rüdisüli

Der Frust ist gross. Meine absolute Lieblingssommerhose- die Gestreifte- ist ausgetragen. Nach jahrelangem Anhaben bestätigt der Kennerblick meiner Mutter, dass es bei diesem Kleidungsstück nichts mehr zu retten gibt.

Dabei war sie nicht nur äusserst bequem, nein dank dem Stoff aus Leinen schwitzte ich auch sonnenbadend nach dem Frühdienst nicht. Ich fand sie sportlich, elegant und trendy. Vorerst werde ich sie feierlich in meinem Kleiderschrank begraben, denn hergeben mag ich sie noch nicht.

Natürlich habe ich noch mehr Kleidungsstücke mit sentimentalem Wert. Meine Cowboy-Boots aus Nashville, das Glitzeroberteil von Silvester und natürlich die rote Jacke. Sie alle erzählen nicht nur Geschichten aus meinem Leben, nein sie hüllen meine Persönlichkeit ein. Bin ich draussen unterwegs, kann meine Kleidung erzählen, was ich gerade vorhabe, wie ich mich fühle und meine Mitmenschen können das sehen. Sie können mich mustern und sich Gedanken machen und rätseln, wo ich wohl gerade hingehe und wer ich bin.

Es ist faszinierend. Kaum treten Menschen ins Spital ein, werden sie vom Pflegepersonal in das ominöse Spitalnachthemd gesteckt. Wir kennen es alle. Weiss mit blauem Muster, hinten zum Binden. Praktisch, weil die Ärmel gross genug sind, um Infusionen und Gipse durchfädeln zu können und der Blasenkatheter kann unten raushängen. Plötzlich sehen sie alle gleich aus. Der Bauarbeiter und die Marketing-Managerin. Ja, alle wirken sie dann nicht mehr wie Individuen, sondern sie sind nun Patient:innen. Und alle fühlen sich automatisch etwas kränker.

Auf der Intensivstation trauen wir uns sogar noch einen Schritt weiter. Viele Kinder brauchen unsere Pflege, weil sie Hilfe brauchen beim Atmen. Damit wir die Atmung, den Bauch und das Hautbild jederzeit beurteilen können, ziehen wir sie bis auf die Unterwäsche aus. So sehen wir sofort, ob sie schneller atmen, ob sie die Atemhilfsmuskulatur zwischen den Rippen einsetzen oder ob der Bauch ungesund angeschwollen ist.

"Plötzlich sehen sie alle gleich aus.
Der Bauarbeiter und die Marketing-Managerin.
Ja, alle wirken sie dann nicht mehr wie Individuen,
sondern sie sind nun Patient:innen."

Es ist uns immer wichtig, die Intimsphäre der Kinder zu schützen und dass sie nicht frieren. Mit farbigen Nuschis und bunten Tüchern versuchen wir einerseits ihr Wohlbefinden zu steigern und andererseits trotzdem sichtbar zu machen, was wir sehen wollen. Nämlich ob alle Kabel und Schläuche am richtigen Ort sind, wie die Verbände aussehen und wie das Kind sich präsentiert in seinem kritischen Krankheitszustand.

Keine Kleidung zu tragen ist bei uns also ein Zeichen von «es geht dem Kind nicht gut». Sobald sich der Zustand verbessert und wir die Haut, den Bauch und den Brustkorb nicht mehr pausenlos inspizieren wollen, erfreuen wir uns am Ankleiden. Entweder können die Kinder selber bestimmen, was sie nun gerne tragen würden, oder die Eltern haben, begeistert über den verbesserten Gesundheitszustand ihres Kindes, gemeinsam ein Outfit ausgesucht.

Manchmal spazieren wir auch selber zum Schrank mit den farbigen Pyjamas und Bodys. Jeder von uns ist dann mal kurz kreativ und entscheidet, ob die Erdbeeren auf dem Body zu den violetten Hosen passen oder ob es doch der Strampler mit den Flugzeugen sein soll. Immer vorausgesetzt die Kabel, Verbände und Schläuche passen durch. Ein Hoch auf die Erfindung von Wickelbodys. Auch wenn es manchmal zum Geschicklichkeitstest wird, die richtigen Knöpfe zusammenzubringen. Für uns sind sie ein Segen.

Wir verleihen den Kindern die nötigen Farbkleckse, um noch schneller gesund zu werden. Damit sie in den Kleidern ein Wohlfühlbad nehmen und die Heldenfiguren auf den T-Shirts stolz präsentieren können. Um uns ihre mit den Kleidungsstücken verbundenen Geschichten erzählen zu lassen.

Kleider machen Leute- davon bin ich überzeugt und sehe dieses Spiel so oft im Spitalalltag. Also wenn du später aus dem Haus gehst, vergiss nicht, dass auch ihr erzählt. Du und deine Kleider.

Bemerkungen

Katharina Rüdisüli

Als Dipl. Expertin für Intensivpflege arbeitet Katharina Rüdisüli im Universitäts-Kinderspital Zürich. Von ihrem abwechslungsreichen Arbeitsalltag, ihren emotionalen Begegnungen und abenteuerlichen Herausforderungen erzählt sie hier im PulsBlog. 

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