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Einblick in die Nachtschicht auf einer Demenzabteilung

  • Esther Peyer

Den obligaten Kaffee habe ich bereits getrunken, als ich meinen nächsten Rundgang starte. Ganz leise öffne ich die Tür zu einem Bewohnerzimmer. Im Innern brennt das Deckenlicht und Frau T. liegt nicht im Bett, sondern sitzt auf ihrem Sofa und schaut mich überrascht an. Sie hat Demenz. Es ist 01.30 Uhr in der Nacht. Ich begrüsse sie und hole ihr ein kleines Frühstück. Dankend fängt sie an, den Joghurt zu essen. Später bei meinem nächsten Rundgang treffe ich Frau T. wieder schlafend im Bett an. Der Joghurtbecher und das Glas Sirup sind leer. Ich lösche das Deckenlicht und schliesse ganz leise die Tür.

Beim Weitergehen treffe ich im Gang plötzlich auf Herrn K. Nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet möchte er mit seiner gepackten Reisetasche verreisen. Ich orientiere ihn über die aktuelle Uhrzeit und erkläre ihm, dass der öffentliche Verkehr um diese Zeit nicht mehr fährt. Verständnisvoll nickend bestätigt er seinen Irrtum. Er dachte, es sei Nachmittag. Ich begleite ihn in sein Zimmer zurück und helfe ihm, sich hinzulegen, decke ihn zu und wünsche ihm eine weiterhin gute Nacht. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen und bereits geschlossenen Augen murmelt er ein «Dankeschön».

Auf der Sitzbank vor ihrem Zimmer sitzt Frau Z. Bei ihr sind aktuell Schmerzen ein grosses Thema, weshalb sie in der Nacht immer mal wieder aufsteht. Ich setze mich zu ihr hin. Dankend fährt sie mir über die Hand. «Schön, bist du da», sagte sie und lehnt ihren Kopf an meinen. Ich lege meinen Arm um sie, und wir schauen zusammen aus dem Gangfenster in die dunkle Nacht. Nachdem ich ihr etwas gegen ihre Schmerzen gebracht habe, begleite ich sie zurück in ihr Bett, decke sie zu und setze mich kurz zu ihr hin. Gemütlich kuschelt sich Frau Z. unter ihre Decke und sieht mich zufrieden an. In dem Moment nehme ich die stellvertretende Rolle einer Mutter ein, die Geborgenheit und Liebe vermittelt. Ich wünsche ihr eine gute Nacht, sie fährt mir dankend mit der Hand über die Wange. «Kommst du nochmals vorbei?», fragt sie. «Ja», lächle ich.

Esther round
«Auf der Sitzbank vor ihrem Zimmer sitzt Frau Z. Bei ihr sind aktuell Schmerzen ein grosses Thema, weshalb sie in der Nacht immer mal wieder aufsteht. Ich setze mich zu ihr hin. Dankend fährt sie mir über die Hand. "Schön, bist du da", sagte sie und lehnt ihren Kopf an meinen.» 

Dann ist es still auf der Abteilung. Den leicht beleuchteten Gang ablaufend, spähe ich leise in die restlichen Zimmer. Alle schlafen nun, was mir schnarchende Atemgeräusche bestätigen. Es hat etwas Beruhigendes an sich, wenn ich meine Bewohner:innen beim Schlafen sehe. Weil ich weiss, wie wichtig guter Schlaf für den menschlichen Organismus ist, freut es mich umso mehr, wenn sie diese Erholung in der Nacht bekommen. Vor allem für Menschen mit Demenz, die wegen der Erkrankung des Gehirns mehr Erholung brauchen, ist ein ausreichender Schlaf in der Nacht Gold wert. Nicht immer gelingt dies so einfach. Bei einer demenziellen Erkrankung kann es vorkommen, dass man am Tag schläft und in der Nacht wach ist, also eine Tag-Nacht-Umkehr hat. Diese wieder in einen physiologischen Rhythmus zu bringen, kann viel Zeit und pflegerisches Know-how erfordern.

«Vor allem für Menschen mit Demenz, die wegen der Erkrankung des Gehirns mehr Erholung brauchen, ist ein ausreichender Schlaf in der Nacht Gold wert.» 
Esther round

SCHLAFFÖRDERNDE MASSNAHMEN SIND:

  • Baldriantropfen
  • Orangenblütentee, Lavendeltee, Baldriantee
  • Warme Milch mit Honig
  • Lavendelöl, Melissenöl
  • Banane
  • Raumtemperatur 15 - 19°

Die Nacht geht langsam zu Ende, und während ich im Badezimmer Herrn L. beim Waschen helfe, höre ich mit einem Ohr, wie die ersten Pflegepersonen auf der Abteilung eintreffen, wie die Küche den Essenswagen für das Frühstück bringt und wie im «Bienenhaus» der Pflege langsam Leben erwacht. Zurück im Stationszimmer gebe ich dem Team meinen Rapport weiter, erzähle dabei von meinen nächtlichen Begegnungen und wünsche zum Schluss allen einen guten und erfolgreichen Arbeitstag.

Bemerkungen

Esther Peyer

Esther Peyer ist diplomierte Pflegefachfrau im Gesundheitszentrum für das Alter Bombach der Stadt Zürich und berichtet über Themen und Situationskomik aus der Langzeitpflege. Mit ihren Blogs möchte sie Menschen im Pflegeberuf, oder jene, welche sich für die Pflege interessieren, zum Nachdenken, Mitfühlen und Schmunzeln anregen, ohne dabei Schwierigkeiten zu tabuisieren.

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