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Sich die Freiheit nehmen

  • Susanna Langenbach

Veronika S. ist Ende 40 und arbeitet zu einem 50%-Pensum in einem Akutspital auf der inneren Medizin. Jetzt, da die Kinder älter und selbständiger geworden sind, hat sie zeitlichen Freiraum gewonnen, den sie aktiver nutzen möchte als bisher.

Seit ihrem Pflegeabschluss vor über 20 Jahren hat Veronika S. schon auf verschiedenen Stationen und in unterschiedlichen Spitälern gearbeitet und während der Familienphase das Pensum reduziert. Soll sie nun, da die Kinder selbständiger sind, das Pensum erhöhen? Oder eine fachliche Vertiefung, zum Beispiel Richtung Onkologie, anpacken? Oder ganz etwas anderes beginnen?

«Nichts Richtiges»
Im Laufe des Gesprächs mit Veronika S. wird erkennbar, dass sie im Grunde genommen schon Ideen hätte, wie sie den gewonnenen Freiraum nutzen möchte. Diese bewegen sich aber nicht im beruflichen Kontext sondern mehr im Freizeitbereich. Eigentlich würde sie gern mit Freundinnen zusammen ein Atelier mieten und einrichten, da sie vielfältige gestalterische Interessen hat. Ein Raum ist bereits in Aussicht, aber... Ausserdem interessiert sie eine kunsttherapeutische Ausbildung, die sie später vielleicht nutzen könnte, um selbständig Malstunden anzubieten.
Sie hat sich da schon breit informiert, aber... Konkrete Schritte scheitern daran, dass Veronika S. meint, das sei doch «nichts Richtiges». Man kann sich doch nicht einfach nur daran orientieren, was Freude bereitet! So jedenfalls hat sie es gelernt. Dabei könnte sie es sich finanziell leisten, ihren Interessen nachzugehen, ohne Druck, Geld damit zu verdienen. Und es wäre genau das, was sie sich wünschen würde: mehr Lockerheit im Alltag und weniger Pflichtgefühl. Veronika S. nimmt Hausaufgaben mit, um den verschiedenen Ideen, Wünschen und Ängsten nachzugehen. Im Sinne von künftigen Szenarien soll sie sich ausmalen «was wäre wenn... » Dieser Frage muss sie nicht mit Worten beschreiben, sondern kann sie auch bildhaft bearbeiten, da sie ja gerne mit Farben gestaltet. Wichtig ist dabei  wahrzunehmen, welche Gefühle, Gedanken, Körperempfindungen aber auch welche Handlungen (nächste Schritte) respektive Unterlassungen (nicht mehr/weniger tun) auftauchen.

Galerie der Wünsche
Zur nächsten Sitzung kommt Veronika S. mit diversen Bildern und Notizen. Die Bilder hängen wir an die Wand, sodass eine Art Galerie entsteht. Wie geht es ihr damit? Was fällt ihr auf? Sie erzählt, dass ihr die Aufgabe anfangs gar nicht leicht gefallen sei. Zuviel hätte sie in ein einzelnes Szenario hineinpacken wollen und das hätte sie sehr blockiert. Dann habe sie entschieden, erst einmal für jede Variante eine Farbe auszuwählen und ein Blatt damit auszufüllen. Und dann nach und nach aufzuschreiben respektive aufzumalen, was dazu gehört an Gefühlen, Gedanken und nächsten Schritten. Dieses Vorgehen hat ihr deutlich gemacht, dass für sie generell gilt: Sie kommt nur dann in Bewegung, wenn sie sich nicht zu viel aufs Mal vornimmt, nicht von Anfang an zu hohe Ansprüche an sich stellt, sondern sozusagen mit einem Zipfel startet und es sich dann entwickeln lässt. 

Aufregend und beängstigend 
Und wenn sie es so betrachtet, wird für sie auch klar, welches die nächsten Schritte sind, die sie anpacken will – erst einmal nicht im beruflichen, d.h. im pflegerischen Bereich etwas anpacken, sondern im freizeitlichen. 
Sie will dieses Atelier mieten und damit einen sichtbaren leeren Raum schaffen. Und erst in einem zweiten Schritt entscheiden, ob sie auch eine Weiterbildung anpacken will im kunsttherapeutischen Rahmen oder vielleicht andere Ideen entstehen. Sie möchte den zeitlichen Raum wirklich als FREI-Raum nutzen und hat auch festgestellt, dass die Familie sie darin unterstützt. Es geht darum, sich die Freiheit zu nehmen und alte Vorstellungen über das «richtige» Leben zu verabschieden respektive zu korrigieren. Gemäss dem Satz von Meret Oppenheim: «Freiheit muss man sich nehmen, sie wird einem nicht gegeben.» Oder anders: sie kann einem nicht gegeben werden, selbst wenn das Umfeld wollte.

Allein schon der Gedanke, Familienarbeit nicht durch Berufsarbeit zu ersetzen, erlebt sie als aufregend und beängstigend. Es braucht Mut für sie, dies anzupacken und es braucht Unterlassungen. Nämlich: das Haus muss nicht immer gründlich geputzt, das Essen nicht immer schon vorbereitet und der Garten kann auch mal etwas wilder sein.

Bemerkungen

Susanna Langenbach

Susanna Langenbach ist Laufbahnberaterin für Gesundheitsberufe im biz Oerlikon. Regelmässige Informationsveranstaltungen vor Ort und individuelle Beratung unterstützen Interessierte beim Entscheiden und Umsetzen. Die Berufs- und Laufbahnberaterinnen kennen die Berufe im Gesundheitswesen, die Karrieremöglichkeiten und den Arbeitsalltag in Spitälern, Heimen oder der Pflege zu Hause. 

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