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Schweigen ist Gold – Kommunikation mit Menschen mit Demenz

  • Esther Peyer

Im Radio läuft ein Song von Ronan Keating mit dem Text: «You say it best, when you say nothing at all». Immer wenn ich den Song höre, empfinde ich es, als würde mir Ronan sagen, ich solle doch mal schweigen. Doch mein sehr kommunikatives Wesen sträubt sich dagegen. Ich finde, wir sollten doch alle sehr viel kommunizieren, wir tun es ja auch ständig, sei es verbal oder digital. Paul Watzlawick sagte treffend: «Man kann nicht nicht kommunizieren». Aber wenn es um die Kommunikation bei Menschen mit Demenz geht, ist weniger mehr.

Während meiner Diplomarbeit durfte ich mich mit dem Thema «das Phänomen Aggression bei Menschen mit Demenz» auseinandersetzen. Dabei waren nichtmedikamentöse Massnahmen der Fokus meiner Arbeit. Neben Erfassungsinstrumenten und Massnahmen, wie Aromaöl und basale Stimulation, erforschte ich auch die Kommunikation. Dabei stiess ich auf den interessanten Sprachstil der Ich-schonenden Pflege von Christoph Held. Er wies in seinem Buch auf ein mögliches, verändertes Empfinden der eigenen Ich-identität bei Menschen mit Demenz hin. Eine Frage, die mit dem eigenen Namen beginnt, kann von Betroffenen möglicherweise nicht mehr mit sich selbst in Verbindung gebracht werden.

Bei solchen Menschen ist es hilfreich, Sätze zu benutzen, die eine allgemeine Redeform beinhalten. So wird aus dem Satz: «Herr Müller, können sie sich bitte auf die Toilette setzen?» ein – «Es ist Zeit zum Sitzen». Was zuerst befremdlich klingen mag, erfuhr ich bisher in der Pflege von Menschen mit Demenz als sehr positiv. Ich setze die Ich-schonende Kommunikation gezielt ein, zum Beispiel, wenn mein Gegenüber Wortfindungsstörungen hat, unruhig wirkt oder tief in einer Geschichte aus der Vergangenheit steckt und etwadie Abteilung verlassen möchte. Auch dient die Ich-schonende Pflege bei Menschen mit Demenz als Kommunikationsmittel gegen Reizüberflutung.

Doch wie kommunizieren Menschen mit Demenz mit uns? Sehr direkt! Oft wird ausgesprochen, was gerade gedacht wird. Da fallen Komplimente und Beschimpfungen Seite an Seite. Es werden Schuldgefühle ausgesprochen, Freude, Angst, Fürsorge, Trauer, Verliebtheit oder Wut. Menschen mit Demenz haben ein sehr feines Gespür dafür, wie es dem Gegenüber geht und was wir als Pflegepersonen in unserem Innern mit uns herumtragen. Wir können also wirklich «nicht nicht kommunizieren». Einmal durfte ich erfahren, wie eine Bewohnerin, die hundertzwei Jahre alt war, mir etwas auf nonverbale Weise zu sagen hatte. Ich befand mich dabei gerade recht im Stress und sie sass einfach nur da auf der Bank im Gang der weglaufgeschützten Abteilung. Ich setzte mich zu ihr hin, weil ich ihr noch schnell ein Medikament verabreichen sollte. In Gedanken war ich schon bei meinen nächsten drei Aufgaben und innerlich war ich im Zeitdruck.

Doch wie kommunizieren Menschen mit Demenz mit uns? Sehr direkt! Oft wird ausgesprochen, was gerade gedacht wird.

Doch die Bewohnerin schaute mich nur an. Ihre runzligen, mit Marmelade leicht beschmierten Hände, legten sich links und rechts um mein Gesicht. Ich liess es einfach zu. Alle Gedanken an Hygiene galoppierten in meinem Kopf davon wie eine Herde Wildpferde. Ihre Augen, die eine über hundert Jahre alte Lebensgeschichte erzählten, sahen mich liebevoll und fürsorglich an, wie eine Mutter ihr Kind. Ich schaute einfach zurück. Sie nickte mir nur zu. Ich nickte zurück. Sie sagte nichts, Ich sagte nichts. Wir brauchten keine Worte. Wir schwiegen beide und fanden Gold.

Bemerkungen

Esther Peyer

Esther Peyer ist diplomierte Pflegefachfrau und berichtet über Themen und Situationskomik aus der Langzeitpflege. Mit ihren Blogs möchte sie Menschen im Pflegeberuf, oder jene, welche sich für die Pflege interessieren, zum Nachdenken, Mitfühlen und Schmunzeln anregen, ohne dabei Schwierigkeiten zu tabuisieren.

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