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Egoistische Freude

  • Josefa Kohler

Immer wenn ein Patient oder eine Patientin, welche ich schon von früheren Aufenthalten kannte und eine gute Beziehung hatte, wieder eintritt, freue ich mich wahnsinnig. Ist das egoistisch? Darf man sich über das schlechte Ergehen von Mitmenschen freuen?

Eigentlich nicht, aber ich tu es vermutlich trotzdem. Fühle ich mich schlecht dabei? Wahrscheinlich schon. Erst letztens kam eine Patientin, welche bei meinem Kompetenznachweis (Praxisprüfung) der Blutentnahme hinhalten musste/durfte, wieder stationär zu uns. Sie ist eine 'Musterpatientin', macht ihre Aufgaben, kommt pünktlich zur Medikamentenabgabe, kommuniziert klar und deutlich ihr Befinden (viele Patienten können dies nicht, weil sie glauben, so viel wie nur möglich aushalten zu müssen, oder sie schämen sich für ihre Schwäche), stiftet nichts Dummes an und meistert alles vor allem mit Humor und Selbstironie.

Sie gehört zu denjenigen, die am Morgen schon ein Lächeln auf die Lippen hinbekommt und ein „Morgen“ herausbringt. Wie auch immer, als sie wieder eintrat, veränderte sich meine Haltung zur Arbeit und Motivation etwas. Positiv, versteht sich.

Nun klingt es, als ob ich bei schwierigeren Patientengruppen weniger Lust habe zu arbeiten – so ist es natürlich nicht, ich liebe die Herausforderung. Leider bin ich eine Minimalistin, was bedeutet, dass ich nicht traurig bin, wenn es weniger Herausforderungen gibt. Aber wenn mir das Aufstehen für einen Frühdienst und das Lernen der Nebenwirkungen der Medikamente leichter fällt, dann bin ich nicht böse und bedanke mich lächelnd.

Eine andere Patientin, welche ebenfalls nicht zum ersten Mal auf der Station ist, kam auch erneut - was habe ich mich gefreut! Ihre Fortschritte mit sich selbst und ihrer Umgebung sind so beachtlich, dass es Freude macht zuzusehen. Sie litt jahrelang unter einer ausgeprägten Agoraphobie (Angst vor Situationen oder Orten ohne Fluchtmöglichkeit), doch mittlerweile kann sie alleine auf dem Klinikareal spazieren gehen. Ausserdem kann man mit ihr die besten Gespräche führen, egal zu welchem Thema.

Wenn gerade einmal wenig los ist auf der Station, alle Arbeiten erledigt sind und auch alle Zusatzaufgaben zum hundertsten Mal gemacht wurden, bin ich froh über jede Unterhaltung (purer Egoismus).

Genauso wie ich mich über die bekannten Wiedereintritte freue, freue ich mich natürlich auch über deren Austritte. Somit kann ich sagen: Ja, es ist egoistisch sich über den Eintritt von gewissen Patienten zu freuen, aber noch viel egoistischer wäre es doch, sich nicht zu freuen. Sich freuen über den Mut dieser Menschen, an sich und ihrer Krankheit arbeiten zu wollen. Den Mut, sich den Mitarbeitenden der Klinik gegenüber zu öffnen und sich helfen zu lassen. Darüber freue ich mich und mit dieser Art Egoismus kann ich persönlich gut leben.

Bemerkungen

Josefa Kohler

Josefa Kohler befindet sich im dritten Ausbildungsjahr zur Fachfrau Gesundheit in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, am Standort Rheinau. Für puls-berufe.ch erzählt sie aus ihrem Arbeitsalltag und berichtet von den Herausforderungen und den schönen Momenten, die dieser Beruf mit sich bringt.  

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